Bundesweiter Filmstart von „Göttliche Lage“: Ein Film über Strukturwandel und Gentrifzierung

Der PhönixseeDer Film Göttliche Lage. Eine Stadt erfindet sich neu ist bundesweit in den Kinos gestartet – bei der Premiere letzte Woche war das Publikum begeistert. Der Film, der in einer Langzeitbeobachtun die Entwicklung eines alten Arbeiterviertels zum Edelquartier zeigt, ist preisverdächtig. Im Zentrum des neu erschaffenen Stadtviertels liegt der Phönix-See, ein künstlich angelegtes Gewässer, das die ehemalige Industriebrache mit Mondlandschaft-Charakter und Altlastenproblemen zu einer begehrten Wohnlage mit Marina und Flanierpromenade verwandelt hat.

Den See, der etwas größer als die Hamburger Binnenalster ist, belächeln die einen als „Deutschlands größte Pfütze“ und sorgen sich um die Verdrängung der Menschen durch die reichen Neuanwohner, während andere den Phönixsee als Prestigeobjekt ansehen und ihn für eine europaweit bedeutsame städteplanerische Leistung halten. Wer Recht hat, wird in dem Film aber nicht beantwortet – dafür wirft er jede Menge spannender Fragen auf. Nach der ausverkauften Premiere in Dortmund waren die beiden Regisseure Ulrike Franke und Michael Loeken in Bochum zu Gast – danach folgen Berlin, Hamburg und andere Städte.

Schöne neue Welt

In dieser Woche ist der Film auf dem Kult-Filmfestival Neue Heimat in Österreich als Wettbewerbsbeitrag zu sehen. Der Dokumentarfilm der Dortmunderin und des Rheinländers wird für rege Diskussionen beim Publikum sorgen. Ob der 96 Hektar große künstliche See auf der Brache des alten Phönix-Ost Stahlwerkes tatsächlich eine städteplanerische Höchstleistung und ein Musterbeispiel für den gelungenen Strukturwandel ist oder ob er ein perfektes Sinnbild der zunehmenden Gentrifizierung urbaner Räume und für die Ent-Demokratisierung öffentlicher Flächen zeigt, wird nicht nur im Ruhrgebiet heftig debattiert werden.

Die Filmemacher-Ehepaar Franke und Loeken hat 2009 den Grimme Preis für Losers und Winners – ein Film über den Abbau der Kokerei Kaiser – bekommen. Die Göttliche Lage ist nach  Losers und Winners und Arbeit Heimat Opel der dritte Teil einer Trilogie, die über den Wandel der Industriegesellschaft erzählt. Die beiden blicken nicht aus der Ferne auf die rasant schnelle Entwicklung an der Ruhr – sie leben im Umland von Dortmund und waren schon immer vom steten Wandel dieser Industrieregion fasziniert. „Wir lieben den Pott und seine ganz spezielle Landschaft“ bekennen sie. Das nimmt man ihnen ab, haben sie doch das Thema Strukturwandel und seine Folgen liebevoll, detailreich und anschaulich umgesetzt – keine ganz leichte Aufgabe bei einer so sperrigen Angelegenheit. Das Thema anschaulich zu machen, ist den beiden gelungen.

Franke und Loeken beobachteten in ihrem Langzeitprojekt über fünf Jahre hinweg die Planung und Entstehung des Phönixsees. Dabei interessierten sie sich vor allem für den Prozess, der entsteht, wenn ein alter Industriestandort zu einem neuen Wohnquartier mit überwiegend luxuriöser und teurer Wohnbebauung umgewandelt wird und vor allem auch, wie diese Prozesse die Menschen beeinflussen. Das Thema kam auf die beiden Filmemacher geradewegs zu: „Die Themen klopfen immer bei uns an, wir suchen nicht extra danach.“ erzählt  Michael Loeken über den Beginn der Dreharbeiten. „Uns hat zunächst interessiert, was Planer und Anwohner, Alteingesessene und Neue, Visionäre und Zweifler sagen und wer am Ende zu den Gewinnern und wer zu den Verlierern des so genannten gesellschaftlichen Fortschritts zählt. Planung und Menschen kann man nicht trennen.“

Die-Zukunft-aus-der-Sicht-der-Planer-5Doch von Beginn an hat das Projekt polarisiert – der Film spiegelt die konträren Diskussionen wieder, die vor und während der Bauzeit in der Stadtgesellschaft, in der Politik und mit den Anwohnern geführt wurden. „Der Film arbeitet den gravierenden Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Planer sehr gekonnt heraus.“, meinte nach der Premiere einer der Zuschauer und Anwohner nach der Filmpremiere. Die Geschichten am Rande des Sees werden nah am Leben und lebendig erzählt. Das dies gelungen ist, liegt vor allem daran, dass sich die Protagonisten offen, ehrlich und ungekünstelt vor der Kamera zeigen. Das macht den Film authentisch und ist seine große Stärke. Für die Regisseure steht im Vordergrund ihres filmischen Werkes immer der Inhalt – nach dem Motto „Form folgt Inhalt“. Man merkt das auch daran, dass sie den Menschen in den Fokus ihrer Beobachtung rücken und über die Kamera eine erstaunliche Nähe zwischen dem Zuschauern und den Protagonisten herstellen.

Das kann nur dann gut gelingen, „wenn man selber eine große Offenheit den Menschen gegenüber mitbringt und ohne zementiertes Konzept im Kopf an so ein Projekt herangeht. Wir sind immer offen für die nicht vorhersehbaren Entwicklungen während eines Filmprojekts eingestellt.“ „Und die Nähe“ fügt Regisseur Michael Loeken hinzu, „entsteht dadurch, dass wir viele Gespräche führen, Vertrauen schaffen und eine Beziehung zu den Leuten aufbauen. Das war bei Göttliche Lage ein sensibler, langer Prozess, der uns aber sehr wichtig ist. Ein vertrauensvolles Verhältnis macht überhaupt erst möglich, dass unsere Geschichten interessant, spannend und emotional bewegend sind.“ Dass sich diese Herangehensweise auf den Zuschauer überträgt, macht den Film besonders bemerkenswert. Statt vorgefertigter Meinungen bietet er trotz des subjektiven Blickes der Filmemacher Interpretationsmöglichkeiten. Statt neben Chips und Gummibärchen vorgekaute Wahrheiten zu konsumieren, muss der Zuschauer selber denken. Das ist durchaus gewollt.

Die Anwohner

Die Mischung aus der Distanz der Filmemacher zu ihrem Sujet und der gleichzeitigen großen Nähe zu den Protagonisten ist bei Göttliche Lage gelungen. Dies liegt nicht zuletzt an dem respektvollen Umgang mit den Protagonisten im Film. Selbst die teilweise intimen Kamera-Einblicke in das Leben der Anwohner entblößen sie nicht – der Blick in das Wohnzimmer macht den Zuschauer nicht zum Voyeur und ist an keiner Stelle peinlich. Die Kioskbesitzerin Anna, die bis zum Schluss – trotz der durch den See verloren gegangenen Stammkunden – um „ihr Büdchen“ kämpft, gibt am Ende auf. Ihre Geschichte zeigt die ganze Ambivalenz und das Hin- und Hergerissensein, zwischen dem Staunen über ein gigantisches Projekt und der Hoffnung, dass der See auf die naheliegenden sozialen Brennpunkte positiv abstrahlt. Die Angst, dass sie gehen und den zum Glück mit wenigen Schulden belasteten Kiosk aufgeben muss, sieht man in Annas Augen. Spätestens an dieser Stelle im Film wird einem klar, dass die Sorge, die göttliche Lage sei nur für Reiche bestimmt, berechtigt ist.

Göttliche_LageFür Anwohner Klaus Tillmann ist diese Sorge nicht nur berechtigt, sondern längst Realität geworden. Er begleitete als Bezirksvertreter von Anfang an die Entwicklung auf Phönix-Ost und kämpfte in einer Bürgerinitiative für eine Entschädigung der angestammten Eigentümer. Durch den Bau des Sees wurden ihre Häuser durch die Erschütterungen und den veränderten Grundwasserspiegel stark beschädigt und sackten zum Teil ab. Weder die PHOENIX See Entwicklungsge-sellschaft, noch die Stadt haben bisher einen Pfennig bezahlt – die Wertminderung des ‘Eigentums des kleinen Mannes’ ist bis heute nicht wieder gut gemacht worden. Für Tillmann „wiegt aber noch schwerer, dass die Abwanderung der angestammten Bewohner und der ärmeren Bevölkerungsschichten aus dem Viertel deutlich zu spüren sind. Dieser Schaden an der gewachsenen Struktur meines Stadtteils, ist ohnehin nicht mit Geld zu entschädigen. Das im Film gezeigte sanierte Haus hat 50 Prozent Leerstand – die Neubewohner und Investoren interessieren sich doch nur für die Sahne-Seegrundstücke! Und wer kann sich schon eine Miete von 8,00 – 10,00 Euro pro Quadratmeter statt der ortsüblichen 3,50 Euro leisten oder gar 280 – 350 Euro Kaufpreis? Der öffentlich geförderte Wohnungsbau ist doch nur ein Feigenblatt. Die Wahrheit ist: Die Menschen verkaufen ihre Häuser, die zum Teil seit mehreren Generationen in Familienhand sind, und ziehen weg.“

Der Markt wird es schon regeln

Angesichts dieser Interessenkonflikte zwischen den unterschiedlichen Bevölkerungsschichten sagt im Film einer der See-Neuanwohner fast fröhlich: „Der Markt wird es regeln!“ Dieser Satz sorgte beim Premierenpublikum für lautes Raunen. Tillmann hingegen sieht es nüchtern als „sehr realistisch“ an und erklärt uns in zwei Sätzen Gentrifizierung: “Natürlich wird der Markt es richten. Er verschafft den Großen eine komfortable Wohnsituation und die Kleinen müssen gehen.“ Das klingt banal und ist es leider auch. Er fügt hinzu, dass der See, außer dem erhöhten Freizeitwert, nicht positiv auf das Viertel abstrahlt. „Ich glaube nicht, dass das Anwohner in Dortmund-Hörde  von den Planern jemals anders gedacht war, sondern von Anfang an die Verdrängung der „Alt“-Bewohner, die bereits im vollem Gange ist, von ihnen billigend in Kauf genommen wurde.“ An den Planern ist die Filmkamera nah dran und die dokumentierten Planungsbesprechungen lassen diesen Schluss an manchen Stellen zu. Umso mutiger ist es, dass das Drehen der Szenen zu den Planungen der Bauaktivitäten und Vermarktungsaktivitäten von der PHOENIX See Entwicklungsgesellschaft unterstützt wurde.

BauherrDas Filmteam durfte bei den Besprechungen immer mit der Kamera dabei sein – dafür ist Ulrike Franke dankbar: „Die Offenheit der Entwicklungsgesellschaft und die Möglichkeit, bei den Gesprächen dabei sein zu dürfen, war großartig. Unser Ziel war es ja , ‘die Welt der Planer’ zu zeigen und zu diskutieren, wie Stadtplanung in den nächsten Jahren verläuft und wie wir uns alle in Zukunft das soziale Zusammenleben in urbanen Räumen vorstellen. Wir wollten im Film in jedem Fall für ein vollständiges Bild beide Seite zeigen und dem Zuschauer auch Planungsprozesse und Vermarktungsstrategien nahebringen. ‘Beide Seiten’ heisst für uns aber nicht zwangsläufig ‘gut und böse’ – auch wenn wir an den Zuschauerreaktionen merken, dass der Film stark polarisiert. Das war aber nicht unser vorrangiges Ziel.“ Die Regisseure staunen vielmehr über die unterschiedlichen Facetten und Interessen der Beteiligten – alte und neue Anwohner, Planer und Architekten, Stadtvertreter und Politik, Investoren und Käufer. Sie machendas Staunen zu ihrem Konzept, und auch wenn ihnen persönlich die Künstlichkeit der Nobelsiedlung und die fehlende Durchmischung der Bevölkerungsstruktur nicht gut gefällt, geben sie im Film keine Wertungen ab. Der unvoreingenommene Blick der beiden bleibt bis zum Ende des Filmes erhalten und schafft es so, ohne Moral-Keule und platte Pott-Klischees auszukommen.

Michael Loeken sieht den Film nicht als abgeschlossenes Statement oder Pro/Contra-Positionierung an, Im Gegenteil: „Wir bilden Realität ab und transportieren nicht vordergründig plakative Botschaften. Wir zeigen den Phönixssee als Metapher der Gesellschaft, ohne zu verurteilen: Die Antworten gibt sich der Zuschauer selbst.“ Die Antworten fallen sehr verschieden aus. Für die PHOENIX See Entwicklungsgesellschaft gibt es eindeutig keine Verdrängung der angestammten Bewohnerschaft seit Eröffnung des Sees. Sie erwarten auch keine neu entfachte Diskussion nach der Filmpremiere, da „so ziemlich alle Diskussionen zu Anfang der Realisierung des Projektes sowie nach den erreichten Meilensteinen wie beispielsweise der Entstehung des ersten Wohnbauabschnitts, dem “Südufer”, geführt wurden. Das hierbei gezogene Fazit ist die Werthaltigkeit und die positive Ausstrahlung des Projekts PHOENIX See auf sein gesamtes Umfeld.“

Das Ruhrgebiet: Wie Phönix aus der Asche?

Ganz so positiv und werthaltig wie die Planer das Bild vermitteln möchten, kommt die Sichtweise der Entwicklungsgesellschaft allerdings nicht im Film weg. Dass das Credo der Vermarktungsbroschüre ‘Erfolgreich landen’ eben nur für die Erfolgreichen in der Gesellschaft gilt und die Landung am Phönixsee zwar für Gutsituierte und Stockenten, aber sonst für kaum jemanden möglich ist, verschweigt der Film nicht. Doch die Kritik kommt auf angenehm leisen Sohlen daher – kommt ohne laute Polemik und ohne die Protagonisten in die Pfanne zu hauen (was bei manchen leicht gewesen wäre) aus.

Gerade durch diesen feinen Blick der Beobachter Franke und Loeken hat der Film seine Schlagkraft und Relevanz. Er ist nicht subversiv, aber hintergründig. So bringt Göttliche Lage das Thema auf sehr eigene Weise in die aktuelle Diskussion um das ‘Recht auf Stadt’ ein – im aktuellen Gentrifizierung-Diskurs wird man an dem Film nicht vorbeikommen. Und obwohl das Staunen der Regisseure und das Überwältigtseinangesichts des gigantischen Projekts noch nicht aufgehört hat, wird im Film Kritik an der Planungsumsetzung formuliert. Damit können die See-Gesellschafter gut leben. Auch wenn alle drei Geschäftsführer aus Zeitgründen nicht persönlich zur Deutschlandpremiere kommen konnten, zogen sie gestern ein freundliches Résumé zu dem kontroversen Film, denn „von dieser Art des Kontrastes und dem hieraus entstehenden Humors lebt der Film. “Franke und Loeken möchten den Das alte Phönixwerk in Betrieb
See und seine Anwohner gerne noch länger begleiten, und sich der Frage weiter annähern, ob bei solchen Projekten zwei soziale Gruppen zusammenwachsen oder eben nicht. Diese Frage ist für sie mit ihrem Film noch nicht vollständig beantwortet und es ist nicht ausgeschlossen, dass es einen zweiten Teil der Göttlichen Lage geben wird. Den ersten Teil kann man aber all jenen empfehlen, die sich dafür interessieren, welche unmittelbare Auswirkung Stadtplanung auf das Leben der Menschen hat und welche Herausforderung die Gentrifizierung von Wohnquartieren an die Stadtgesellschaft stellt.

Die-Zukunft-aus-der-Sicht-der-Planer-5Mit dem Phönix-See ist das Ruhrgebiet möglicherweise dort angekommen, wo andere deutsche Großstädte längst sind. Einen Erfolg kann man es nicht unbedingt nennen, wenn der See, der wie Phönix aus der Asche stieg, für die Verdrängung der Menschen aus ihrem Viertel sorgt. Am Ende wird es also um die Kernfrage gehen, wie sie Michael Loken in unserem Gespräch so formuliert hat: „Wollen wir in Zukunft Stadt als einen gemeinschaftlichen, sozialen und demokratischer Ort erhalten?“ Unabhängig davon, wie die Antwort auf diese Frage ausfallen wird, eines ist sicher: Am Phönixsee leben die ‘Losers und Winners’ sehr nah beieinander. Doch man muss sich keine Sorge machen. Wirklich begegnen werden sie sich, außer in einer kurzen Sekunde des Vorübergehens beim abendlichen See-Spaziergang, vermutlich nicht.

Alle Fotos: © 2013 filmproduktion frankeloeken GbR