Der Deutsche Kulturrat fordert: TTIP-Verhandlungen sofort stoppen!

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Bayerische Staatsoper und Residenztheater in München; Foto: 2014, Ulrike Märkel

Gestern forderte der Deutsche Kulturrat öffentlich den Parteikonvent der SPD auf, an diesem Wochenende den Startschuss für eine „wirklich öffentliche Debatte“ zu den geplanten Freihandelsabkommen TTIP und CETA zu geben. Bei nicht wenigen Teilnehmern des Konvents wird der Kulturrat offene Türen einrennen. Schon länger hat sich bei den Sozialdemokraten parteiintern Widerstand gegen die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen gebildet. Sigmar Gabriel lenkte daher kürzlich ein und sicherte einen kritischen Diskussionsprozess zu. Der Deutsche Kulturrat könnte heute beim SPD-Parteivorsitzenden für sein Anliegen ein offenes Ohr finden, nicht zuletzt weil dieser im Vorfeld der TTIP-Verhandlungen eigens eine Arbeitsgruppe eingerichtet hatte, zu der der Spitzenverband der Bundeskulturverbände eingeladen wurde.

Der Verband, Interessenvertreter zahlreicher kultureller Einrichtungen, Vereine und Institutionen, macht sich schon länger Sorgen um die kulturelle Vielfalt und forderte gestern von der SPD erneut eine klare Aussage dazu ein, wie in Zukunft sichergestellt wird, dass dem Kultur- und Medienbereich durch die Freihandelsabkommen TTIP und CETA kein Schaden zugefügt wird. Die Ängste der Kulturschaffenden sind berechtigt – denn bei der Frage, ob sich die Kultur auf einem freien Markt behaupten kann, geht es sehr schnell um die Frage von Sein oder nicht mehr Dasein.

Es bestehen im Kunstfeld und in der Kreativwirtschaft starke Bedenken, dass selbst Errungenschaften wie die Buchpreisbindung und die öffentliche Theater- und Filmförderung in Gefahr sind. In Deutschland gibt es eine breite Filmförderlandschaft, Theater werden staatlich bzw. kommunal subventioniert. In den USA gibt es keine vergleichbare Verteilung öffentlicher Mittel zur Förderung von Kultur. Es wird daher befürchtet, das aufgrund dieses Wettbewerbsnachteils geklagt werden könnte, weil sich zum Beispiel ein Musiktheater in Los Angeles gegenüber einem europäischen Musiktheater benachteiligt fühlt. Es steht viel auf dem Spiel.

Manche, die an der aktuellen Debatte teilhaben, sehen zwar Kultursubventionen per se als eine Wettbewerbsverzerrung an. Fakt ist aber, das ohne Förderung sich für viele Kulturschaffenden die Existenzfrage stellt. Es wundert daher nicht, dass der mächtige Deutsche Kulturrat aktives Mitglied der “Europäischen Bürgerinitiative gegen TTIP und CETA” ist. Dieses Bündnis aus 170 Organisationen in 19 Ländern hat Gewicht, bündelt die verschiedenen Interessen und trägt seine Bedenken im internationalen Kontext vor. Eine Reaktion auf diese Bedenken ist ein gemeinsames Papier von SPD und DGB, das in Zukunft als Grundlage für die weiteren Gespräche zu den verschiedenen Freihandelsabkommen dienen soll. Die Gemüter beruhigt dieses Gemeinschafts-Statement jedoch nicht.

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Olaf Zimmermann, Foto: Tim Flavor

Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, meint: „Das DGB-Papier ist aus unserer Sicht zunächst einmal nur ein Beschwichtigungsversuch. Wir erkennen darin keine Verbindlichkeiten, die die Unsicherheit über die Verhandlungsinhalte ausräumen könnte. Daher erwarten wir statt weiterer Lippenbekenntnisse konkrete Zusagen, die schriftlich fixiert werden – am besten in Form eines neuen Verhandlungsmandates für die EU-Kommission auf der Basis von Positivlisten, die die verhandelbaren und nicht-verhandelbaren Güter klar benennen. Wichtig ist, dass von Beginn der Verhandlungen an das Verhandlungsmandat klar definiert ist und nicht erst in vier Jahren mögliche gravierende Fehler nachgebessert werden müssen.”

Auch andere sorgen sich. Die Franzosen haben bereits letztes Jahr deutlich gemacht, dass ihnen kulturelle Vielfalt in Europa zum einen und der Erhalt der  französischen kulturellen Identität im besonderen, wichtig sind. Sie forderten die ‘exeception culturelle’ ein: Kunst und Kultur sollen bei den Verhandlungen vollständig außen vor gelassen werden. Verständlich: Kultur ist identitätsstiftend und sogar so wichtig, dass es seit 2005 ein internationales Übereinkommen für den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen gibt. Die UNESCO-Konvention wurde auch von Deutschland unterzeichnet.

Olaf Zimmermann will der SPD keine guten Ratschläge geben, würde sich aber freuen, wenn die Parteibasis auf dem Konvent ihr Recht auf Mitbestimmung einfordert und sich für eine Mitgliederbefragung in dieser wichtigen Angelegenheit ausspricht. Damit wäre ein basisdemokratischer Meinungsbildungsprozess gesichert. „Wenn unsere Forderungen am Wochenende diskutiert werden, ist das nicht nur eine vertrauensbildende Maßnahme, sondern ein Schritt dahin, dass die SPD-Basis langfristig von der Bundesregierung einen Stop der Verhandlungen und konkrete Nachbesserungen des Verhandlungsmandates einfordert.” Ob das gelingen wird, ist unklar und wird mit Spannung erwartet. Der Deutschen Kulturrat fordert:

  • Stopp der bisherigen TTIP-Verhandlungen
  • Formulierung eines neuen TTIP-Verhandlungsmandats, in dessen Formulierung das neu gewählte Europäische Parlament, der Rat und die Parlamente der Mitgliedstaaten einbezogen werden
  • Konsequente Ausnahme von Kultur und Medien aus diesem Verhandlungsmandat
  • Beauftragung der EU-Kommission mit einem neuen Mandat, um die Verhandlungen mit den USA zu einem Freihandelsabkommen aufzunehmen
  • Regelmäßige umfassende Information von Parlamenten und Zivilgesellschaft über das neue Verhandlungsmandat und die darauf aufbauenden neuen TTIP-Verhandlungen.

Dieser Forderungskatalog ist ehrgeizig und formuliert die Sorgen deutlich. Andere wie Claudius Seidl, Chef des Feuilleton bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, halten die Diskussion um eine Bedrohung der europäischen Kultur durch das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP für unbegründet. Seidl entdeckt in der Diskussion neben Ideologie und Legenden sogar einen latent vorhandenen Antiamerikanismus. Ob er damit richtig liegt und es sich bei den Sorgen der Kulturschaffenden nur um einen typischen Fall von „German Angst“ handelt, ist auch deswegen so schwer zu beurteilen, weil es keine Transparenz über die genauen Verhandlungsinhalte gibt. Intransparenz führt zwangsläufig zu Legenden – dieses Problem ist also hausgemacht.

In diesem Sinne hätte der deutsche Kulturrat mit seinen Forderungen nicht Unrecht. Mit der Umsetzung der Forderungen könnte man genau das verhindern – Legendenbildung. Bleibt also spannend, wie sich der Parteikonvent am Wochenende zu dem Forderungskatalog verhalten wird. Setzt sich die SPD dafür ein, dass die Bundesregierung aufgefordert wird, schriftlich im Verhandlungstext die dezidierte Ausklammerung der Kultur zu fixieren, wäre das ein wichtiger Schritt in die Richtung, endlich Transparenz zu schaffen. Nur eine sehr klare und eindeutige Positonierung könnte wieder für mehr Vertrauen bei den Kulturschaffenden sorgen.

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