Eröffnung: Internationales Frauenfilmfestival IFFF Dortmund | Köln – Femme formidables!
Am 04. April 2013 wurde im CineStar Dortmund die Eröffnung des Internationalen Frauenfilmfestivals IFFF Dortmund | Köln, eines der wichtigsten Festivals in Deutschland, gefeiert. Das Publikum füllte den Kinosaal bis auf den letzten Platz, doch weder lilalustig Latzhosen noch überproportional viele Kampfkurzhaarschnitte wollten irgendein verstaubtes Feministinnen-Vorurteil bestätigen. Und auch die Männerquote wurde zufriedenstellend erfüllt: Das Publikum war mit circa 40% männlichen Besuchern ausreichend durchgegendert. Das Festivalplakat, dass das Motto Exzess durch einen zugegeben niedlichen Grace-Kelly-Rauhhaardackel visualisiert, ließ bei einigen Besucherinnen Fragen offen – an Exzesse erinnert der himmelwärts gerichtete Dackelblick eher nicht. Möglicherweise versteckt sich aber unter dem Kopftuch ein veritabler feministischer Wadenbeißer.
Das sich das Festivalmotto aber keinesfalls auf die exzessive Förderung von Frauen in dem von Männern dominierten Berufsfeld „Film“ bezieht – darin waren sich gestern alle Rednerinnen einig. Sowohl NRW-Kulturministerin Ute Schäfer, als auch die Festivalleiterin Silke Räbiger machten deutlich, dass es 30 Jahre nach Festivalgründung noch immer eine in Zahlen messbare Ungerechtigkeit bei der Verteilung der Filmfördermittel gibt. Zwei Beispiele nannte Räbiger: Durch die Filmförderanstalt FFA wurden von insgesamt 49 Filmen nur 11 Filme von Frauen gefördert, von einer Frauenquote kann also keine Rede sein. Ebenso zeigt sich eine große Gerechtigkeitslücke in der Umverteilung der Mittel. Durchschnittlich werden über 74.000 Euro weniger pro Filmproduktion an Frauen vergeben, als an die Projekte der männlichen Kollegen.
Warum Mannsein per se offenbar noch immer einen in Geld ausdrückbaren Mehrwert hat – die Gründe dafür konnten auch die Festivalrednerinnen nicht befriedigend klären. Vom Kulturministerium gab es erfreulicherweise deutliche Signale, neben der Stadt Dortmund und anderen Unterstützern dem Festival weiterhin mit Geldmitteln unter die Arme zu greifen. Die konkrete Höhe und Dauer der Landesförderung ließ Schäfer leider im Ungefähren und forderte stattdessen weniger nebulöse Zahlen in Bezug auf die statistisch ermittelbare Verteilung der eigenen Förderung nach Gendergesichtspunkten. Hierzu plant das Ministerium offenbar eine Studie, um die konkreten Zahlen der Anteile der Fördermittel, die an Frauen gehen, zu ermitteln. Auf das Ergebnis darf man zwar gespannt sein – überraschen wird es bestimmt niemanden.
In dieselbe Kerbe schlug in Ihrer Rede auch Renate Augstein, die Leiterin der Abteilung für Gleichstellung und Chancengleichheit im Schröderschen Bundesfrauenministerium und wies auf die männlich dominierten internationalen Filmfestivals hin. Über die Herdprämie ihrer Chefin war in der Ansprache nichts zu hören – dabei ließe sich doch zwischen Windelwickeln und Kochlöffelschwingen durchaus noch ein kleiner Kurzfilm produzieren. Trotz Augsteins Zugehörigkeit zu dem nicht gerade als emanzipatorisch verschrienen Bundesfrauenministeriums war ihre Kritik berechtigt: Sieht man sich beispielsweise die Liste der Preisträger der Internationalen Filmfestspiele von Cannes 2012 an, finden sich dort fast nur Männer – eine der wenigen Ausnahmen ist die Kategorie „Beste weibliche Darstellerin“.
Tatsächlich werden auf den roten Festivalteppichen Frauen, auch von der Presse, meist eher als dekoratives Element am Arm eines erfolgreichen Mannes wahrgenommen, denn als ernstzunehmende Filmemacherinnen und Konkurrentinnen um die begehrten Filmtrophäen. Das Filmliebhaberinnen-Publikum, Regisseurinnen, Kamerafrauen, Filmmusikerinnen und andere Filmschaffenden sahen sich mit Begeisterung den Eröffnungsfilm „Ginger & Rosa“ der Regisseurin Sally Potter an, der den Aufschlag des fünftägigen Festivals mit Filmvorführungen im CineStar, Kino im U, sweetSixteen im Depot und in der Schauburg machte. Der Eröffnungsfilm erzählt die Geschichte einer Freundschaft zwischen zwei jungen Mädchen in den 60er Jahren – einer Zeit, in der die Gesellschaft noch ziemlich unentschlossen zwischen neu erwachter sexueller Revolution und alter Prüderie schwankt.
Beide Protagonistinnen gehen ihren eigenen Weg auf der Suche nach der weiblichen Identität. Ginger ist hin- und hergerissen zwischen dem als real empfundenen Gefühl der nuklearen Bedrohung durch „die Bombe“ im Kalten Krieg und dem Loslösungsprozess von ihren Eltern, die sich gerade getrennt haben. Währenddessen lässt sich ihre Freundin Rosa auf eine, für die Mädchenfreundschaft verhängnisvolle Affaire mit Gingers Vater Roland ein. Gingers Vater, der seit seiner Inhaftierung wegen Kriegsdienstverweigerung ein Verfechter der inneren und äußeren Freiheit eines jeden Menschen ist, gibt Rosa Halt und Sicherheit. Und er sieht auch in dieser Liebschaft einen Ausdruck der freien, individuellen Entscheidungsmöglichkeiten. Seine Tochter aber fühlt sich vom Vater allein gelassen und von der Freundin verraten und stürzt in eine tiefe Krise. Der Film ist eine wunderbare Erzählung über Freundschaft, Liebe, Freiheit, Pubertät und am Ende über das Verzeihen.
Das Internationale Frauenfilmfestival Dortmund | Köln ist schon lange der Pubertät entwachsen und eine „Grande Dame“ der internationalen Filmfestivals. Die Veranstalterinnen und das Team um Silke J. Räbiger sind seit mehreren Jahrzehnten unermüdlich dabei, den filmschaffenden Frauen die Aufmerksamkeit zu schenken, die sie angesichts der hohen Qualität ihrer Filmwerke verdient haben. Das Festival findet jährlich mit einem bemerkenswerten Programm aus Filmvorführungen, Workshops und Werkstattgesprächen statt. Höhepunkte sind die Verleihung des Ehrenpreises für Dokumentarfilm (2013 an Heddy Honigmann), die Verleihung des Publikumspreises und des mit 25.000 Euro dotierten Internationalen Spielfilmpreises für Regisseurinnen. Im Jahr 2006 schlossen sich das Kölner Festival Feminale und das Dortmunder Festival femme totale zusammen – der Beginn einer langen rheinisch-westfälischen Freundschaft. Hoffen wir, dass diese nicht in naher Zukunft durch die Banalität einer zu schwachen finanziellen Grundausstattung beendet wird. Das Versprechen der beiden Ministerinnen, in Zukunft für mehr finanzielle Förderung zu sorgen, ist jedenfalls auf viele offene weibliche Ohren gestoßen.