Landtag NRW: Bericht von Innenminister Jäger zum Nazi-Angriff auf das Dortmunder Rathaus

Naziüberfall auf das Rathaus Dortmund; Foto: 2014, Jürgen Steinfelder

Überfall auf das Rathaus Dortmund; Foto: Jürgen Steinfelder

Der Bericht von Innenminister Ralf Jäger (SPD) zum gewalttätigen Überfall der Rechtsextremen auf das Dortmunder Rathaus am Wahlsonntag beruhigt die Betroffenen der Gewaltattacke nicht, denn er enthält einige Merkwürdigkeiten. Nicht die Rechten (darunter zahlreiche polizeilich bekannte Gewalttäter) hätten die Wahlparty am 25. Mai 2014 in Dortmund gestört, sondern die Politiker behinderten die Polizei bei ihrer fachkundigen Arbeit. Viele sehen die verzerrte Darstellung der Ereignisse nicht nur als misslungenen, sondern sogar als ehrenrührigen Erklärungsversuch des Ministers an. Einige glauben, dass mit dem Bericht versucht wird, von den Fehlern des Staatsschutzes und der Polizei abzulenken. Fakt ist, dass statt einer scharfen Analyse der Ereignisse am Wahlabend und einer selbstkritischen Aufarbeitung der Fehleinschätzungen des Staatsschutzes im Vorfeld des Wahlsonntags, Innenminister Jäger mit einer erstaunlichen Gelassenheit zusammenfasst: “Abschließend ist festzustellen, dass der polizeiliche Einsatz sachgerecht verlaufen ist.” Andere sehen das anders.

Viele stoßen sich erheblich daran, dass Minister Jäger in seinem Bericht zur Lage am Wahlabend keine klare Trennung zwischen Aggressoren und Angegriffenen macht – sondern diese beiden Ebenen vermischt. Unverhohlen wird von „aggressiven Parteien“ gesprochen, die sich angeblich „fortwährend gegenseitig attackiert“ hätten. Der Bericht bewertet die Lage im Nachhinein und trotz Kenntnis von Foto- und Filmdokumenten und angesichts mehrerer Verletzter, folgendermaßen: „Auf der anderen Seite berichten die Einsatzkräfte von deutlich alkoholisierten Politikern, die aus dem Rathaus heraus auf den Friedensplatz getreten waren. Diese störten die Amtshandlungen erheblich, indem sie untereinander stritten und nicht bereit waren, polizeilichen Ansprachen Folge zu leisten.“ So macht er die Opfer zu Tätern und Streithähnen. Trotz der massiven Vorwürfe seitens der Polizei findet sich nicht einmal ein kleines Fragezeichen zu den internen Berichten aus dem Polizeipräsidium. Und auch der Wille zu einer tiefergehenden Überprüfung ist nicht zu erkennen.

Daniela Schneckenburger, Landtagsabgeordnete der Grünen, war über den vorliegenden Bericht des NRW-Innenministers mehr als verwundert – sie initiierte gestern gemeinsam mit Nadja Lüders (SPD) eine fraktionsübergreifende Erklärung. Das kann man auch deswegen gut nachvollziehen, weil Schneckenburger am Wahlsonntag von einem Faustschlag eines Rechtsextremisten mitten ins Gesicht regelrecht niedergestreckt wurde und nicht nur Augenzeugin, sondern somit unmittelbar von der Gewaltattacke betroffen ist. Sie meint: „Der Bericht ist verstörend. Er enthält gravierende Fehleinschätzungen zur Zuverlässigkeit und Seriosität der militanten Neonaziszene, und er behandelt das Dortmunder Nazi-Problem als Auseinandersetzung rivalisierender Gruppen. Die Aussagen zu angeblich betrunkenen Dortmunder Politikern sind ehrenrührig.“

Torsten Sommer im Landtag NRW, Foto: Anke Knipschild

Torsten Sommer  (MdL, Piraten) , Foto: Anke Knipschild

Eine Benennung der Fehleinschätzung des Gewaltpotentials oder gar konstruktive Kritik an der Einsatzplanung kann man nicht einmal zwischen den Zeilen des Berichtes lesen. Torsten Sommer, Pirat im Landtag, fühlt sich durch das Innenministerium nicht nur schlecht informiert, sondern desinformiert. Er stellt fest, dass in dem Bericht mehrfach die Unwahrheit verbreitet wurde – ein harter Vorwurf an den Innenminister. Sommer reicht heute einen Antrag ein, der am 03. Juli 2014 im Landtag NRW zur Abstimmung gestellt wird. Der Antrag weist Jägers Bericht als unwahr, diffamierend und tendenziös zurück. Spannend wird sein, ob die, die sich jetzt über den Bericht erregen und die gemeinsame Erklärung unterzeichnet haben, den Antrag der Piraten dann doch, um des lieben Frieden Willens, ablehnen werden. Sommer erwartet Zustimmung, weil eigentlich Einigkeit darüber herrsche, dass „mehrfach eine verharmlosende Gleichstellung von Opfern und Tätern vorgenommen wird und im Zweifel wird den rechten Gewalttätern mehr Glauben geschenkt als denen, die sich den Rechten mit Zivilcourage in den Weg gestellt haben. Die wahre Ursache an dieser Stelle nicht zu benennen, dient einzig dem Zweck den Angriff der rechten Gewalttäter als ‘allgemeine Auseinandersetzung’ darzustellen.” Im Blick auf die Zukunft fordert Sommer, dass die parteiübergreifende, inzwischen ziemlich laut gewordene Kritik an dem Bericht zum Umdenken bei Polizei und Innenministerium führen muss. Er erwartet neben durchgreifenden Veränderungen beim Staatsschutz auch eine interne Untersuchung zu den Ereignissen am 25. Mai. “Blindes Vertrauen auf Einschätzungen der Rechtsdezernentin Jägers oder auf Aussagen der Rechten sind nicht hinnehmbar. Es müssen endlich tiefgreifende und für die Gesellschaft transparente und klar erkennbare Änderungen im Bereich Staatsschutz angepackt werden, damit er in Zukunft nutzbringend ist und seiner Aufgabe zu schützen, nachkommt.”

An Veränderungen innerhalb der Behörde, aber auch im Bewusstsein einzelner Beamter, muss noch viel passieren, wie das Erlebnis des Grünen Remo Licando zeigt. Auf die öffentliche Bitte der Polizei, sich als Zeuge zu melden, nahm er Kontakt zur Polizeiauf: „Ich wollte meine Aussage als Bürger für die Ermittlungen der Polizei gerne zur Verfügung stellen. Mir sass der Schock über die gewalttätigen Ereignisse noch tief in den Knochen, denn ich stand inmitten der Tumulte. Neben mir gab es eine heftige Reizgasattacke der Rechten gegen uns. Ich fand es auch erwähnenswert, dass SS-Siggi vor dem Rathaus fröhlich die erste Strophe des Deutschlandliedes schmetterte. Die Polizei nahm diesen Hinweis am Telefon auf und fragte mich, wo genau ich das Geschehen beobachtet hätte. Als ich sagte, dass ich auf der Rathaustreppe stand, meinte die Beamtin, dass das natürlich die Dinge ändern würde und ich nun selbst unter dem Verdacht der Nötigung stehen würde. Das hat mich sprachlos gemacht.“

"SS-Siggi", Siegfried Borchardt; Foto: Jürgen Steinfelder

„SS-Siggi“; Foto: Jürgen Steinfelder

Solche Auskünfte kann man nicht gerade als ermutigendes Signal an die Bürger bezeichnen, die nicht selten Angst vor Anzeigen haben, weil dann Name und Anschrift den Anwälten der Nazis zur Einsicht in die Akten vorliegen. Wichtig sind Zeugen, die sich zu Wort melden, aber ohne Frage – ihnen sollte man Mut machen, anstatt sie selbst an den Pranger zu stellen. Das ausgerechnet der vor Ort anwesende Dienstgruppenleiter (DGL) meinte „dass er zu keinem Zeitpunkt das Rufen volksverhetzender Parolen oder Singen der ersten Strophe des Deutschlandliedes wahrgenommen habe“, verwundert sehr. Fakt ist, dass volksverhetzende Parolen und die stimmungsmachende 1.Strophe des Deutschlandliedes laut skandiert wurden – ein der Polizei zugespieltes Video belegt dies eindeutig. Man wird also weiterhin auf Bürger als Zeugen angewiesen sein – falls nicht die, laut Bericht ab 22.31 Uhr hinzugezogenen drei Diensthunde (DH), mehr als ihr DGL gehört haben sollten.

Falsch dargestellt erscheint Augenzeugen auch die Frage des Verhaltens der Menschen vor der Rathaustür. Der Fraktionssprecher der Linken im Rat, Utz Kowalewski, der bei den Ereignissen dabei war, meint: “Nach meiner Beobachtung waren die Ratsmitglieder und Gäste angesichts der bedrohlichen Situation sogar außerordentlich diszipliniert. Politiker wie Trunkenbolde dastehen zu lassen, ist eine Frechheit – doch noch schlimmer wiegt, dass die Darstellungsweise des Berichtes darauf hindeutet, dass es in Bezug auf den Rechtsextremismus bei der Polizei in Dortmund offenbar ein Wahrnehmungsproblem gibt”. In dieser Frage sind sich sicher nicht alle in Dortmund einig. Viele verwundert die Tatsache, dass die Rettungswagen deutlich vor den Polizeieinsatzfahrzeugen vor Ort waren. Darin sehen manche der Wahlparty-Gäste eine verharmlosende Einschätzung der Polizei im Vorfeld in Blick auf die Gewaltbereitschaft der Rechtextremen.

Dazu passt, dass ein Rathaus-Besucher an diesem Abend bereits um 22:11 Uhr den Notruf (!) angerufen hatte und deutlich machte, dass Hilfe gebraucht wird. Doch die kam viel zu spät. Denn die zum Schutz abgestellten Beamten hatten laut Bericht bereits um 22:05 die Wahlparty verlassen und sahen zu diesem Zeitpunkt das Rathaus nicht mehr als „relevanten Ort“ an. Der Bericht bestreitet auch nicht, dass erst um 22:31 die Entsendung von 13 Streifenwagen umgesetzt wurde.

Mangelnde Fairness kann den Kritikern an dem Bericht nicht unterstellt werden, die sich an diesem Abend nicht nur bedroht, sondern auch ungeschützt fühlten: Alle, die sich bisher zu Wort meldeten, haben den acht Polizisten, die sich schützend zwischen den rechten Mob und die Ratsmitglieder und deren Gäste stellten, großen Respekt gezollt. Und auch Dirk Goosmann, Vorsitzender des Polizeibeirates und SPD-Ratsmitglied betont, dass man froh sein könne, dass die ersten Beamten vor Ort sich trotz der zahlenmäßig so starken Unterlegenheit, den Rechten in den Weg gestellt haben und nicht erst auf Nachschub warteten. Er macht deutlich: “Es ist überhaupt keine Frage, von welcher Seite die enorme Aggression kam. Umso mutiger war es von den Polizeibeamten, die von den Nazis angegriffenen Menschen vor dem Rathaus zu schützen. Hut ab!”

Jenseits irgendwelcher Gerüchte, die behaupten, es habe im Vorfeld seitens der Verwaltung die Bitte um wenig und auffällige Polizeipräsenz gegeben – steht im Bericht schwarz auf weiß, dass sich die Stadt entschieden hätte, die Situation mit den Rechten zu „ertragen“. Doch schon längst findet die Mehrheit in Dortmund die Situation unerträglich. Die Strategie, die Rechtsdezernentin Diane Jägers (CDU) den Fraktionen im Rat vorgeschlagen hatte, nämlich den Rechten doch einfach „keine größere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen“, ist ebenso fehlgeschlagen, wie die von Jägers zugesagte „besondere Betreuung” der Rechten durch Beamte des Staatsschutzes. Diese ist zwar im Bericht in Anführungszeichen gesetzt – doch muss man ehrlicherweise resümieren, dass es tatsächlich nur eine Betreuung der Nazis gab, statt der dringlich erforderlichen Überwachung polizeibekannter Gewalttäter. Betreuung sollte in einer pädagogisch gut geleiteten Kita seinen Platz haben. Nicht aber beim Staatsschutz.

Der Bericht kann hier heruntergeladen werden: http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMV16-2004.pdf

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