NSU: Keine Transparenz zum Tod des V-Manns „Corelli“

Corelli 2012 (links mit Kamera) Foto: Roland Geisheimer/attenzione photographers

Corelli 2012 (links mit Kamera) Foto: Roland Geisheimer/attenzione photographers

Am 25. Februar 2015 behandelte der NRW-Landtag den Tod des V-Mannes Corelli, der im April 2014 tot in seiner Wohnung im Kreis Paderborn aufgefunden wurde. Thomas R., alias Corelli, verstarb mit 39 Jahren. Vor allem der Todeszeitpunkt wirft viele Fragen auf. Thomas R. verstarb nur wenige Tage vor seiner Vernehmung. Er hätte wesentlich zur Aufklärung der Hintergründe der NSU-Morde und der Rolle des Verfassungsschutzes beitragen können. Die Obduktion ergab eine „natürliche Todesursache“. An dieser Version gibt es erhebliche Zweifel, doch machte NRW-Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) vorgestern deutlich, dass es kein ernstzunehmendes Interesse der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen gibt, die genauen Todesumstände des V-Manns ‚Corelli“ aufzuklären. Transparenz ist offenbar unerwünscht.

Im Januar hatte Justizminister Kutschaty in enger Absprache mit der zuständigen Generalstaatsanwaltschaft in Hamm das Versenden des toxikologischen Gutachtens an die Abgeordneten unterbunden. Das Schreiben vom 20.01.2015 ist ernüchternd. Der NRW-Justizminister teilte mit, dass es nach Prüfung durch den Generalstaatsanwalt in Hamm „keine Rechtsgrundlage für die Übersendung von Mehrfertigungen von Aktenteilen und die Erteilung von Auskünften aus den Verfahrensakten“ gebe. Die Einsicht in das Gutachten ist aber Voraussetzung, um den Tod eines der wichtigsten V-Männer und Zeugen aus dem NSU-Umfeld, umfassend aufzuklären.

Vor zwei Tagen berichtet Kutschaty dann zumindest den Abgeordneten im Rechtsausschuss im NRW-Landtag zum Fall Corelli. Doch ergab der Bericht zum Todesermittlungsvorgang, der auf den Berichten der Staatsanwaltschaft beruht, wenig Erhellendes. Ausführlich wurde zwar das Auffinden der Leiche, die Obduktionsergebnisse und das Verfahren der verschiedenen Gutachten beschrieben, doch ist das Résumé am Ende: „Natürliche Todesursache“. Zur Richtigkeit dieses Ergebnisses können sich die Abgeordneten im Land und im Bund allerdings kein klares Urteil bilden. Über den Ablauf und die Gründe für den frühen Tod des V-Mannes könnte ihnen nur der maßgebliche Gutachter, Prof. Dr. S., ein umfassendes Bild verschaffen. Doch diesen dürfen die Abgeordneten nach dem Willen des Justizministers nicht befragen.

Diagnose “Natürliche Todesursache” – doch kennt niemand den Inhalt des Gutachtens

Beim Auffinden der Leiche von Corelli war die Diagnose nach Eintreffen des Notarztes „keine Anhaltspunkte für äußere Einwirkungen, die den Tod zur Folge gehabt hätten“. Dennoch sei die Todesursache ungeklärt. Auch die Polizeibeamten stellten fest: “Hinweise auf ein Fremdverschulden liegen augenscheinlich nicht vor.” Einen Tag später nahm die Mordkommission des Polizeipräsidiums Bielefeld die Ermittlungen auf.

Die Staatsanwaltschaft Paderborn hatte Zweifel an der eindeutigen Ausschliessung von Fremdeinwirkung und beauftragte eine laborchemische Zusatzuntersuchung. Ergebnis: Es könne bei Corelli von einer Hyperglykämie, die zu einem tödlichen diabetischen Koma geführt habe, ausgegangen werden. Doch ist dieser Satz kein eindeutiges gutachterliches Ergebnis, sondern enthält einen Konjunktiv. Zudem führte ein ebenfalls beauftragte Institut an anderer Stelle aus, “dass es (…) nicht über die für den Nachweis einiger dieser Wirkstoffe erforderliche Analytik verfüge.“ Das bietet ausreichend Raum für Spekulationen.

Verfassungsschützer immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Ein weiterer Sachverständiger, Prof. Dr. S., wurde hinzugezogen, um herauszufinden, ob eine Hyperglykämie (Anm. der Autorin: Überhöhter Blutzuckerspiegel) Todesursache sei und wenn ja, ob „die Hyperglykämie durch das Beibringen von Stoffen herbeigeführt worden sei.“ Kurz gesagt – ob man eine natürlich Todesursache aufgrund eines überhöhten Blutzuckerspiegels vortäuschen könne, indem man dem Opfer bestimmte Stoffe verabreiche, die den tödlichen Kollaps verursachen. Der Gutachter verneinte dies. Am 12.11.2014 stellte die Staatsanwaltschaft Paderborn das Todesermittlungsverfahren ein. Und weil man schon einmal dabei war, sah der Staatsanwalt auch von der Auswertung der Funkzellenabfrage rund um Corellis Haus ab.

Interessant ist diese Entscheidung der Staatsanwaltschaft auch deswegen, weil am Todestag des Thomas R. gleich zwei Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz vor Ort waren. Manche fühlen sich an Kassel erinnert, wo ein Verfassungsschützer zum Zeitpunkt des NSU-Mordanschlages auf Halit Yozgat, unweit des Tatortes, Kaffee trank. Im Fall Corelli klingelten die Beamten bei der Mutter des Vermieters und sagten, dass sie sich als „Bekannte von Thomas R.“ Sorgen gemacht hätten, da sie 5 Tage vergeblich versucht hatten, ihn zu erreichen. Besorgte Verfassungsschutzbeamte als “Kümmerer” unterwegs?

Justizminister Kutschaty verhindert Aufklärung

Justizminster Thomas Kutschatys Vereidigung 2012, Foto: Schälte, Bernd (alle Rechte beim Landtag NRW)

Justizminster Thomas Kutschatys Vereidigung 2012, Foto: Schälte, Bernd (alle Rechte beim Landtag NRW)

Trotz all der offenen Fragen, stehen die Zeichen für Aufklärung bei Thomas Kutschaty (SPD) auf rot. Die Absage des Justizministeriums nährt nicht nur Verschwörungstheorien, sondern erzeugt möglicherweise den Eindruck, dass der Justizminister nicht aufklären, sondern verschleiern will. Ein verheerendes Zeichen an den Untersuchungsausschuss in Nordrhein-Westfalen, der gerade mit seiner Arbeit begonnen hat. Der Bundestag jedenfalls hat sich an Corelli bisher die Zähne ausgebissen: Der Innenausschuss des deutschen Bundestages wurde bereits monatelang hingehalten, bevor das NRW-Justizministeriums jetzt die Einsicht in das Gutachten endgültig verhinderte. Im Juli 2014 war man noch der Bitte des Bundes-Innenausschusses nachgekommen, dass der Leitende Oberstaatsanwalt in Paderborn den Abgeordneten Auskunft erteilen dürfe.

Im Januar 2015 sah die Welt dann ganz anders aus: Der Gutachter Prof. Dr. S., teilte dem Innenausschussvorsitzenden Wolfgang Bosbach (CDU) mit, dass ihm der Paderborner Oberstaatsanwalt telefonisch mitgeteilt habe, dass er keine Aussagegenehmigung bekommen hat. Er könne nicht wie vorgesehen an der Sitzung des Ausschusses am 2. Februar teilnehmen. Eine ausgewiesene Sachverständige der Charité Universitätsklinik Berlin sollte zunächst ebenfalls nicht gehört werden.

Bundestag beisst sich am Fall Corelli die Zähne aus

Irene Mihalic (Bündnis 90/Die Grünen), Obfrau im Innenausschuss und ehemaliges Mitglied im NSU-Untersuchungsausschuss in Berlin, ist darüber verärgert: „Es ist unverständlich, dass nicht zumindest der Gutachter eine Aussagegenehmigung bekommen hat, um dem Innenausschuss qualitative Antworten zu geben. Das hätte schon einmal weitergeholfen. Denn dann hätten wir uns gemeinsam mit der vom Innenausschuss benannten Prof. Dr. Ursula Plöckinger von der Charitè ein Bild über die Stimmigkeit der Ergebnisse des Gutachtens machen können.“

Und auch die Vorlage der schriftlichen Gutachten scheiterte. Den Bericht des Generalstaatsanwalts in Hamm vom 16.12.2014 überreichte der Leitende Oberstaatsanwalt in Paderborn dem Justizministerium inklusive Mehrausfertigungen der Gutachten mit der Bitte um Weiterleitung an den Vorsitzenden des Innenausschusses des Deutschen Bundestages. Doch haben die Gutachten den Innenausschuss in Berlin bis heute nicht erreicht.

Der Bundestag ist bisher mit dem Versuch gescheitert, die Causa Corelli aufzuklären. Ob das im gerade eingesetzten NRW-Untersuchungsausschuss gelingt, wird auch daran liegen, ob die CDU im NRW-Untersuchungssausschuss genauso zäh um Aufklärung kämpfen wird, wie das der ihr Parteikollege und Obmann der Union, Clemens Binninger, auf Bundesebene im NSU-Untersuchungsausschuss beispielhaft getan hat.

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