CDU legt Antragsentwurf zum NSU-Untersuchungssausschuss vor
Bei den Vorbereitungen zum NSU-Untersuchungsausschuss von Nordrhein-Westfalen wird es nun konkret. Nachdem „Die Piraten“ im Frühsommer als erste Fraktion im Landtag die Initiative ergriffen hatten und die konsequente Aufklärung der NSU-Fälle in einem eigenen NRW-Untersuchungsausschuss gefordert hatten, kündigte die CDU an, einen Untersuchungsausschuss nach der Sommerpause zu beantragen. Der Antragsentwurf liegt nun vor und wurde von den Christdemokraten an alle Fraktionen zur fraktionsinternen Beratung verschickt. Auf 22 Seiten werden ausführlich die unterschiedlichen Sachverhalte dargestellt und zahlreiche Fragen, die in NRW noch offen sind, aufgeführt. Die Ziele sind ehrgeizig.
Der Wille der CDU zu vollständiger Aufklärung der NSU-Fälle und zu der Ursache für die eklatanten Ermittlungspannen ist glaubwürdig. Mancher im Vorfeld unkte, die CDU würde mit dem Vorstoß für einen Untersuchungsausschuss vor allem die Fehler der damaligen SPD-Regierung aus taktische Gründen thematisieren wollen. Nach dem anfänglichen Zögern der anderen Landtagsfraktionen sind nun alle mit im Boot. Unwahrscheinlich, dass außer einigen Ergänzungen, gravierende Änderungsvorschläge zu dem CDU-Entwurf gemacht werden. Nicht zuletzt, weil das unweigerlich den Geruch des „vertuschen wollen“ und „unter den Teppich kehren wollen“ hätte. Diesen Vorwurf wird sich niemand im Landtag machen lassen wollen.
Untersuchungszeitraum: Farbe bekennen!
Einzig der Beginn des Untersuchungszeitraums, den die CDU ab 1992 ansetzen will, könnte für Streit sorgen. In diesem Jahr begann das Trio Uwe Mundlos, Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt rechtsradikal zu werden. Die Amtszeit von SPD-Mann Fritz Behrens als Innenminister in NRW war von 1998 bis 2005, in diese Zeit vielen mindestens drei NSU-Verbrechen: Der Bombenanschlag in der Probsteigasse in Köln (2001), das Nagelbombenattentat in der Kölner Keupstraße (2004), der Mord an Mehmet Kubasik in Dortmund (2004), der dreifache Polizistenmord in Dortmund und Waltrop (2000) der Anschlag auf einen Migranten in Duisburg (2003).
Doch es gibt noch mehr Fälle: Die Piraten wollen den Brandanschlag auf ein türkisches Bildungszentrum in Dortmund untersuchen. Und auch im Abschlussbericht des Bundesuntersuchungsausschuss finden sich immer noch Lücken – zum Beispiel zu der Verantwortung der Behörden. Warum hat
- das Innenministerium unter Minister Behrens das Landeskriminalamt angewiesen, die möglichen Motive der Verbrechen wie “rechtsextremistischer Hintergrund” oder “terroristischer Anschlag” zu streichen. Auch diese Weisung hatte vermutlich zur Folge, dass von der Polizei einseitig im Opferumfeld ermittelt wurde und Rechtsextreme als Täter ausgeschlossen wurden
- wurden Zeugen, die die Täter zum Teil sogar unmaskiert gesehen hatten, nicht beachtet und vorhandenes Videomaterial von Überwachungskameras in der Nähe der Tatorte in Köln und Dortmund weitestgehend ignoriert
- wurde sowohl eine Operative Fallanalyse des BKA, als auch eine zweite OFA aus Bayern mit dem Hinweis auf Täter aus dem rechtsextremen Umfeld nicht in die NRW-Ermittlungen einbezogen
- wurde ein Schreiben des LKA an das NRW-Lagezentrum zum Keupstraßen-Anschlag mit einem Hinweis auf einen „terroristische Gewaltkriminalität“ praktisch umgeschrieben und der Begriff „Terroristischer Anschlag“ gestrichen
- wurde der so genannten Tatmeldedienstes, der passend zu den NSU-Anschlägen, auch die Rubrik „Spreng- und Brandvorrichtungen“ enthält, nicht von den Ermittlern wie üblich genutzt
- wurde bis heute nicht herausgefunden, welche Polizisten unmittelbar nach dem Anschlag in der Kölner Keupstraße am Tatort waren, wie es im Untersuchungsausschussbericht des Bundes heisst.
Für die Christsozialen besteht reichlich Klärungsbedarf in Nordrhein-Westfalen
Ein ernstzunehmender Untersuchungsauftrag müsste zudem nach dem Wissen der Spitze des Innenministeriums zu den einzelnen Ermittlungsschritten fragen – vor allem aber auch danach, ob es möglicherweise sogar Weisungen „von ganz oben“ gab, die die Ermittlungen behindert oder in eine bestimmte Richtung gedrängt haben. Auch die Justiz, der NRW-Verfassungsschutz, die Ermittlungs- und Sicherheitsbehörden und die politischen Entscheider müssten im Fokus ernstgemeinter Untersuchungen stehen.
Für die NRW-SPD wird das nicht besonders angenehm werden wird. Ex-Innenminister Fritz Behrens hatte im Vorfeld zugesichert, die politische Verantwortung zu tragen – die SPD steht also im Wort. Da Behrens selbst nicht mehr im Amt ist, werden diese Verantwortung der jetzige Amtsinhaber Ralf Jäger und die Ministerpräsidentin Hannelore Kraft tragen müssen. Nicht persönlich – aber in der Umsetzung von Konsequenzen, die weit über gut gemeinte Multikulti-Willensbekundungen hinaus gehen müssen.
Ein heisses Eisen: V-Leute in NRW
Im Blick auf den Verfassungsschutz will die CDU auch das Feld der V-Leute beackern. Dafür gibt es reichlich Gründe. Und viel Raum für Spekulationen, der nur durch große Offenheit und Bereitschaft zur Aufklärung verkleinert werden wird. Es gibt zu viele bisher ungelöste Rätsel um die Rolle der V-Leute, zum Beispiel um
- den Tod des V-Mannes „Corelli“ (Thomas Richter), der dem NSU in einem Szenemagazin gratulierte und in NRW erstaunlich jung verstarb
- die Rolle des Brandenburger V-Mannes Toni S., der nur ein paar Straßen entfernt von dem Kiosk von Mehmet Kubasik wohnte und an den Tagen vor und nach dem Mord in der Nähe des Tatortes war
- den V-Mann und Sprengstoffbeschaffer Thomas Starke, der in einer Pension nur eine knappe Auto-Stunde von Dortmund entfernt lebte. Laut Auskunft vor dem Thüringer Untersuchungsausschuss sagte des Vaters von Mundlos, dass Starke „eine starke Bezugsperson für meinen Sohn“ war
Allein zum letzteren V-Mann müsste man die Frage stellen, ob Mundlos, als er vermutlich mit Zschäpe und Bönhardt die Gegend um Kubasiks Kiosk „über einen längeren Zeitraum ausbaldowerte“, nicht in Kontakt zu seiner “starken Bezugsperson” aufnahm und möglicherweise Hilfe beim Aussuchen des Dortmunder Anschlagziels hatte.
Jenseits politischer Auseinandersetzungen werden die Landtags-Fraktionen das Papier bestimmt mit viel Anerkennung für die Arbeit, die sich die Opposition mit dem Antragsentwurf gemacht hat, durchgehen.
Jeder weiß: Nur sehr detaillierte Fragen und rückhaltlose Transparenz bei den Antworten, auch wenn es um die eigenen Parteifreunde geht, kann das verloren gegangene Vertrauen der Gesellschaft wieder aufgebaut werden.
Vermutlich werden sich alle Fraktionen dafür stark machen, den Antrag in der vorliegenden Version zu unterstützen. Denn die Hinterbliebenen der durch den NSU getöteten Menschen haben öffentlich immer und immer wieder eine lückenlose Aufklärung gefordert. Diese ist Nordrhein-Westfalen ihnen bis heute schuldig geblieben. Die Chance das endlich zu ändern, ist jetzt in greifbarer Nähe.