Betteltour oder berechtigte Forderungen? Bürgermeister kämpfen um finanzielle Unterstützung

Sparen im Ruhrgebiet, Foto: Ulrike Märkel

Vertreter von 50 Städten, davon die Hälfte aus Nordrhein-Westfalen, machten sich gestern auf den Weg nach Berlin. Die Bürgermeister und Kämmerer der Ruhrgebietsstädte wollen als Bündnis „Raus aus den Schulden“ Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) heute noch einmal darlegen, dass man ohne Hilfe aus Berlin in den Kommunen nicht mehr klar kommt. Die finanzielle Not ihrer Städte sei groß, die Pflichtaufgabe, vor allem im sozialen Bereich, nicht mehr zu bewältigen. Ein Treffen mit Gabriel und den Spitzen der Bundestagsfraktionen soll die Bedürfnislage deutlich machen. Das die Kosten steig steigen, ist keine Frage. Doch darf bei der “Betteltour” nicht verschwiegen werden, dass die Gründe nicht alleine an den gestiegen Sozialausgaben liegen, sondern viel zu häufig hausgemacht sind. Überhöhte Gehälter verdienter Sozial- und Christdemokraten, Leuchtturmprojekte mit explodierenden Langzeitkosten und schief gegangene Investitionen in riskante Geschäfte im Energiesektor zerren ebenfalls an den kommunalen Haushalten.

Der Dortmunder SPD-Oberbürgermeister Ullrich Sierau will heute sein ganzes Gewicht in das Gespräch mit Sigmar Gabriel einbringen. Eine gewichtige Entscheidung zum Thema kommunale Finanzen traf seine SPD in diesen Tagen auch in Dortmund. Sie entschied, gegen die Stimmen der Grünen, fast eine halbe Millionen Euro (440.000 Euro) für eine Abbiege-Spur auszugeben. Auf die Entscheidung wurde außerhalb der Haushaltsberatungen gedrängt. Grund: Der Rückstau an zwei Tagen im Monat – wenn der BVB ein Heimspiel hat – sei so erheblich, dass es zu Wartezeiten für die Autofahrer kommen würde. Pikantes Detail am Rande: Am Ende der BVB-Abbiegespur sollen vor allem VIP-Parkplätze liegen.

Doch ungeachtet eigener Fehler wollen die kommunalen Vertreter heute in Berlin die, im schwarz-roten Koalitionsvertrag festgelegte kommunale Unterstützung, einfordern. Es sollten spätestens ab 2018 jährlich weitere 5 Milliarden Euro in die Kommune fliessen, doch wünscht die Delegation die sofortige Auszahlung der versprochenen Summe, wie Manfred Busch (Bündnis90/Die Grünen), Kämmerer aus Bochum dem WDR 2 heute morgen sagte. Gründe nannte Busch auch: Die hohen Kosten durch steigenden Sozialausgaben und die akuten Mehrausgaben aufgrund hoher Flüchtlingszahlen, könnten die Städte im Ruhrgebiet und anderswo in NRW nicht mehr alleine stemmen.

Zu viele Kosten lasten auf den Kommunen …

Richtig ist, dass den Kommunen in der Vergangenheit immer mehr Lasten aufgebürdet wurden. Zusätzlich belasten im Moment die Kosten für die Unterkunft und Versorgung der Flüchtlinge die kommunalen Haushalte der ohnehin klammen Ruhrgebietsstädte.

Es stimmt aber auch, dass Städte wie Bochum bisher nicht durch besondere Sparsamkeit auffielen. Das überflüssige Konzerthaus Bochum entsteht in unmittelbarer Nachbarschaft zu gleich drei hervorragenden Musikstätten, dem Konzerthaus Dortmund, der Oper Dortmund und des Aaltotheater Essen. Dennoch leistet sich die kleine Ruhrgebietsstadt das Musikzentrum. Angesichts der Tatsache, dass der Bochumer Kämmerer Mitte vergangenen Jahres eine Haushaltssperre verhängte – da das geplante Defizit von 85 Millionen Euro mit fast 40 Mio Euro überschritten wurde, ein echtes Luxusprojekt. Zudem die Baukosten weit über die Planung hinaus gingen. Fallen die vom Land und der EU zugesagten Fördergelder weg, wird das Projekt noch einmal um 16 Millionen Euro teurer.

Teure Leuchtturmprojekte erhellen den Himmel über dem Ruhrgebiet

In der Nachbarschaft Dortmund sieht es nicht viel besser aus. Auch hier wollte man sich mit einem Kulturprojekt profilieren, dem “Kunst- und Kreativitätszentrum im Dortmunder U“. Bereits zweimal erschien der U-Turm in der Bilanz der Steuerverschwendungen des Bundes der Steuerzahler (BdSt). Manche behaupten, dass auf dem Dach montierte U stehe für Unkosten. Es ist auch kein Geheimnis, dass der Druck der Politik, das Gebäude zum Kulturhauptstadtjahr auf Biegen und Brechen fertig zu stellen, den ein oder anderen Pfusch am Bau mit befördert hat. Die Kosten stiegen Jahr für Jahr: Aus der Dach- und Fachsanierung wurden auf wundersame Weise aus den geplanten 5 Millionen, am Ende 23 Millionen. Die Umgestaltung des Innenraumes schlug mit 26 Millionen über der ursprünglichen Planung zu Buche. Der Endausbau machte noch mal ein Plus 6,5 Millionen.

Die endgültige Abrechnung legte die Stadtverwaltung, trotz anders lautender Versprechungen, noch nicht vor. Doch geht man von einer Verdoppelung der geplanten Kosten auf einen “summa summarum” dreistelligen Millionenbereich aus. Die Mehrkosten entsprechen in etwa der Summe, die sich die Städte vom Bund anteilig an den 5 Milliarden Fördermittel erhoffen.

Das Dortmunder U - Kunst- und Kreativitätszentrum

Auf Duisburg wiederum wurde der Bund der Steuerzahler aufmerksam, weil die Museumserweiterung im Duisburger Innenhafen nach diversen Pannen gestoppt wurde. Immerhin zog man dort – im Gegensatz zum U-Turm – die Notbremse. Dennoch war der Schaden groß: Kosten im zweistelligen Millionenbereich werden im „Schwarzbuch der Steuerverschwendungen” vermutet.

Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist auch die riskante Investition der Kommunalen Beteiligungsgesellschaft (KSBG), dem Zusammenschluss der Ruhrgebietsstädte zum Ankauf der Steag. Kosten der ersten Tranche in Bochum: 100 Millionen Euro, davon 30 Mio. Eigenkapital plus 70 Mio Euro Kredite. Der Ankauf der zweiten Trance wurde nun ebenfalls entschieden. Gesamtkosten für den 49 Prozent-Anteil: Insgesamt 570 Millionen Euro.

Finanzielle Fässer ohne Böden und Abkassierer

Bei anderen Energiegeschäften der NRW-Kommunen liegt der Verlust klar auf der Hand. Die Verzögerung beim Bau des RWE-Steinkohlekraftwerk „Gekko“ aufgrund technischer Probleme, führte zu Mehrkosten von mehr als 200 Mio. Gekko bleibt ein Fass ohne Boden. Der Dortmunder Stromversorger DEW21 musste wegen des Desaster-Deals 60 Millionen Euro zurückstellen.

Angesichts solcher finanziellen Probleme sind die von den Oberbürgermeistern und Kämmerern eingeforderten Summen aus Berlin, die in den jeweiligen Städten ankommen, geradezu Peanuts.

Doch nicht nur riskante Unternehmungen leistet man sich im Ruhrgebiet. Die Manager der kommunale Energieversorger, Beteiligungen und Töchter, die solche Mega-Deals begleiten und befördern, lässt man sich an der Ruhr ein bisschen mehr kosten. Sie werden – ungeachtet der individuellen Erfolgsbilanz – so gut bezahlt, dass sie einige schlicht als „Abkassierer“ bezeichnen. Einer der besondern unbescheidenen ist der Dortmunder SPD-Mann Guntram Pehlke. Der WAZ Rechercheblog hatte 2013 sein Jahreseinkommen ausgerechnet – als Dortmunder Stadtwerkechef und multiples Aufsichtsratsmitglied kommt er vermutlich auf eine gute halbe Millionen pro Jahr. Dafür kennt sich Herr Pehlke aber mit Geldausgeben gut aus – er war in der Vergangenheit Kämmerer in Dortmund.

Die CDU in den Kommunen, die sich in den Räten gerne als argusäugige Wächter über sozialdemokratisches Geldverschwenden sähen, stehen der SPD in nichts nach: Der Christdemokrat Hermann Janning bekam nach den Berechnungen der WAZ als Vorstand der Duisburger Stadtwerke knapp 700.000 Euro im Jahr. Sein Parteifreund Hubert Jung, ehemaliger Dortmunder Ratsherr, erhielt nach realistischen Schätzungen von den Stadtwerken satte 310.000 Euro im Jahr.

Hilfe macht nur Sinn, wenn die lokalen Leuchttürme abgebaut werden

Den schwachen NRW-Kommunen sollte der Bund unter die Arme greifen – bei den Kosten, die von Städten nicht selbst gesteuert werden können. Dazu zählen die Grundsicherung im Alter und die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung, wie auch die Kosten für die Unterkunft der Flüchtlinge. Allein in NRW leben im Moment insgesamt über 42.800 Flüchtlinge, Tendenz steigend.

Bedauerlich ist, dass die Leuchtturm-Politik der einzelnen Städte erst aufgegeben wird, wenn es um einen gemeinsamen Geldtopf in Berlin geht. Neben Einsparmaßnahmen muss weiterhin immer wieder die Möglichkeit der interkommunalen Zusammenarbeit ausgelotet werden. Zum Beispiel könnte man durch eine gemeinsame (!) Anhebung des Grundsteuerhebesatzes einen Teil der dringend benötigten Mehreinnahmen erzielen. Wenn Synergieeffekte nicht ernsthaft genutzt werden, wird auch weiterhin niemand den Schimären-Begriff “Metropolregion” ernst nehmen. Ein gemeinsamer Ausflug zum Geldhahn reicht da nicht aus.

Bedenkt man, wie hart im Moment die Bundesrepublik mit Griechenland verhandelt, schiesst einem kurzzeitig die Idee durch den Kopf, ob nicht auch dem Ruhrgebiet Grenzen der Geldverschwendung zur Bedingung gemacht werden müssten. Zumindest könnte Sigmar Gabriel seinen Genossen aus der „Herzkammer der Sozialdemokratie“ nahelegen, doch parallel zu den Forderungen nach mehr Geld, sich mit etwas mehr eigener Bescheidenheit am Notpaket zu beteiligen.

Wünschenswert wäre, dass das Geld aus Berlin gezielt da ankommt, wo es die Kommunen wirklich bitter nötig haben: Bei der ausreichenden Versorgung der Flüchtlinge und bei den Menschen, die zu den Verlierern der wirtschaftlichen Entwicklung im Ruhrgebiet zählen.

Das Bündnis “Raus aus den Schulden” darf aber nicht nur bedeuten „Mehr Geld in unseren Sack“. Statt nur zu jammern, muss das Bündnis auch Selbstkritik üben – alles andere wäre unglaubwürdig. Und doch nur eine Betteltour.

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