Roghinya – Flucht vor den Verfolgern

Sayed_mit_Laura_06_2015Für heute Abend kündigte die Partei „Die Rechte“ eine Mahnwache unter dem Motto „Nein zum Asylheim!“ in der Nähe eines Flüchtlingsheim in Dortmund an. Zuletzt waren die rechtsextremen Parteimitglieder in nationalsozialistischer Tradition mit einem Fackelzug ungehindert vor ein Asylbewerberheim gezogen. Die Menschen, die in Deutschland Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen, werden durch solche Aktionen verängstigt. Das ist vor allem auch deswegen besorgniserregend, weil viele von Ihnen durch ihre Erlebnisse schwer traumatisiert sind.  Auch S. gehört zu ihnen. Sein Vater und sein Bruder wurden ermordet, seine Mutter und Schwester von Kriminellen entführt.

Die Menschen in den Asylbewerberunterkünften sind psychisch enorm belastet, auch weil vielen die Abschiebung droht. Für den 17. Februar waren wieder Abschiebungen in Dortmund geplant. Hinter den abstrakten Flüchtlingszahlen stehen einzelne Schicksale und individuelle Menschen. Einer von ihnen ist S. Er kommt aus Myanmar, dem ehemaligen Birma, und gehört zur Volksgruppe der Rohingyas. Sie werden in dem überwiegend buddhistischen Land auf Grund ihres muslimischen Glaubens verfolgt und werden, wie S. Familie, immer wieder Opfer von Gewalttätigkeiten.

Auch die Regierung geht gegen sie vor: 2012 wurden nach Ausschreitungen gegen die buddhistische Minderheit zehntausende Rohingyas gegen ihren Willen zwangsumgesiedelt. Die Vereinten Nationen stuften die Rohingyas als die „am meisten verfolgte Minderheit der Welt“ ein. Tausende Menschen sind seitdem auf der Flucht vor Unterdrückung, Verfolgung und religiös motivierten Gewalttaten. S. hat durch Hass und Gewalt alles verloren: Sein Haus, sein Land, seine ganze Familie. Doch seine Chancen stehen schlecht, hier bleiben zu dürfen.

Es droht die Abschiebung in „sichere“ Drittländer – die UN rät davon ab

Institute in Myanmar sprechen offen von einem drohenden Völkermord an den Rohingyas. 140.000 Menschen sind zur Zeit auf der Flucht, allein in Bangladesch leben über 30.000 der verfolgten Minderheit in Flüchtlingslagern, die in einem katastrophalen Zustand sind. Das Land, dass zu den ärmsten der Welt zählt ist mit der Situation überfordert. Doch in Deutschland, einem der reichsten Länder der Welt wird trotzdem abgeschoben – auch in Nordrhein-Westfalen. Einige Flüchtlinge wollen ihre Abschiebung nicht widerspruchslos hinnehmen und haben Rat bei einem Anwalt gesucht.

Es gibt gute Gründe gegen eine zwangsweise Rückführung juristisch vorzugehen. Seit die EU-Verordnung Dublin III greift, werden Flüchtlinge in so genannte „sichere Drittländer“ zurückgeschickt. Doch ist der Begriff „Sicherheit“ relativ. Im Fall von Griechenland empfahl das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR: „Keine Rückführung nach Griechenland!“

Und auch in anderen europäischen Ländern, wie Bulgarien und Ungarn, ist die Situation so schlecht, dass der hohe Flüchtlingskommissar die Bundesrepublik bat, die Zwangsausreise in diese Länder noch einmal wohlwollend zu prüfen. In Ungarn werden entgegen EU-Recht Flüchtlinge in die Ukraine abgeschoben – in unhaltbare Zustände, wie Report Mainz berichtet. Sie werden dort – von der EU mitfinanziert-  bis zu einem Jahr lang in speziellen Haftanstalten inhaftiert. Wer möchte dahin zurück?

In Italien, berichtete in unserem Gespräch einer der Flüchtlinge, werde man einfach aus den überfüllten Heimen geworfen, viele leben obdachlos auf der Strasse. Trotz dieser bekannten Probleme in den so genannten sicheren europäischen Ländern bekommen viele Flüchtlinge den Abschiebebescheid zugestellt. In Beamtendeutsch heisst das: „Ihr Asylantrag ist unzulässig, die Ausweisung wird angeordnet.“

Wer wie S., auf seinem Fluchtweg über eines der 28 EU-Länder nach Deutschland kommt, hat wenig Aussicht darauf, bleiben zu können. Tausende Übernahmeersuchen stellte die Bundesrepublik seit Anfang 2014 an die verschiedenen EU-Staaten.

Den Kampf um das Bleiberecht führen Rechtsanwälte

Rechtsanwalt Heribert Golumbeck kennt zahllose Fälle dieser Art. Er kämpft für seine Klienten um eine langfristige Aufenthaltsgenehmigung – oder wenigstens eine Duldung. Er meint: „So können sich die erschöpften Flüchtlinge wenigstens für ein paar Monate von ihren häufig traumatisierenden Erlebnissen erholen.“

S. verlor Anfang der 90er Jahren seinen Vater bei den gewaltsamen Ausschreitungen in Rakhine State. Die Familie floh – erst zwei Jahre später traute sie sich in die alte Heimat zurück. Doch als auch noch sein Bruder bei ethnisch motivierten Unruhen ermordet wurde, beschloss die Mutter die Heimat endgültig zu verlassen. Es begann eine zwei Jahrzehnte lange Fluchtodyssee.

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S., seine Mutter und die jüngere Schwester schafften es, sich nach Bangladesh durchzuschlagen. Sie lebten dort mehrere Jahre in dem berüchtigten Refugee Camp Cox Bazar, das für seine katastrophalen Bedingungen bekannt ist. Hunger und Dreck gehörten zum Alltag. Behausungen, die wie Slum-Hütten aussehen, bestimmen das Bild des bengalischen Flüchtlingslagers.

S. wollte dieser aussichtslosen Situation entkommen. Zurück in seine Heimat konnte er nicht, zu groß war die Angst vor den Mördern seiner Familienangehörigen. Die Situation war für ihn unerträglich:

„Wir Rohingyas sind Menschen zweiter Klasse und wurden wie Dreck behandelt. Wir durften nicht heiraten, nicht zur Universität gehen, nicht beten, nicht den Arzt besuchen. Wir durften noch nicht einmal einen Pass haben. Es gab viele Verhaftungen. Das ist  doch kein Leben!“

Vor zwei Tagen berichtete die Nachrichtenagentur Reuters, dass die Entscheidung für eine „temporäre Identifikationskarte“, einen Personalausweis für die Minderheit, von der Regierung in Myanmar zurückgenommen wurde.

Sayed: Vater und Bruder ermordet, Mutter und Schwester auf der Flucht verloren

D.s Familie machte sich angesichts der Apartheid-ähnlichen Zustände in seiner Heimat 2009 erneut auf den Weg – diesmal von Bangladesch nach Thailand. Auf dem Weg über die Grenze versteckte sich S. mit seiner Schwester und seiner Mutter in zwei Lastwagen. Sie wurden kurz hinter der Grenze aufgehalten – als Polizisten verkleidete Kriminelle inszenierten eine Passkontrolle. Seine Mutter und seine Schwester wurden aus dem Transporter gezerrt, berichtet S. Seitdem ist der Kontakt abgebrochen. S. ist deswegen sehr bedrückt. Er glaubt, dass die beiden Frauen an Bordelle verkauft wurden und sie nun als Zwangsprostituierte arbeiten müssen.

Zwei Jahre später gelang es ihm von Thailand aus zunächst mit dem Flugzeug, dann weiter mit einem Auto über die Türkei bis nach Frankreich zu fliehen. 2.000 Dollar kostete ihn die Flucht – sein ganzes Erspartes. In Frankreich angekommen, war das Geld bereits aufgebracht. Einen Anwalt konnte er sich daher nicht leisten. „Der Pflichtanwalt warf noch nicht einmal einen Blick auf meine Papiere!“ empört sich S.

Nun hofft er in Deutschland auf Unterstützung durch einen Rechtsanwalt. Nahid Farshi, ehrenamtliche Flüchtlingsbetreuerin, kümmerte sich um einen Beratungstermin bei Anwalt Golumbeck. Er schätzt die Chancen auf ein dauerhaftes Bleiberecht jedoch nüchtern ein. Nach seiner Erfahrung ist man in Dublin-Verfahren meist wenig erfolgreich.

Doch manchmal hat man vor Gericht auch Glück: „Bei Asylverfahren stimmt das alte Sprichwort, dass man auf hoher See und vor Gericht in Gottes Händen ist. Je nach Kammer wird sehr unterschiedlich geurteilt. Es gibt Verwaltungsgerichte die anerkennen, dass die Bedingungen in Länder wie Ungarn, Bulgarien oder Italien, in denen die Flüchtlinge verheerenden Bedingungen ausgesetzt sind, menschenrechtswidrig sind. Andere sehen die Situation zwar als prekär, aber nicht als Verstoß gegen die Menschenrechte an.“

Humanität? Es gibt kein ernsthaftes Interesse, Flüchtlinge aufzunehmen

Bei der Geschichte von S. ist vielleicht eine Entscheidung im Einzelfall möglich. Theoretisch könnte das so genannten Selbsteintrittsrecht der Bundesrepublik wahrgenommen werden. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge kann anstelle des Drittlandes auch selbst ein Asylverfahren durchführen. Es müsste nur seine Zuständigkeit erklären. Doch viel Hoffnung sollte man in diese Möglichkeit nicht setzten, sagt Inka Jatta vom Verein ProAsyl / Flüchtlingsrat e.V. in Essen:

,Ich kenne in zehn Jahren Praxis keinen einzigen Fall, indem von der Bundesrepublik das Recht auf ein eigenes Asylverfahren – ein möglicherweise wirksames Mittel gegen die Abschiebung in Drittländer – Gebrauch gemacht wurde. Es ist genau genommen eine rein theoretische und nur formal festgelegte Möglichkeit“.

Ein Aussetzen der Abschiebung ist auch möglich, wenn ein Flüchtling gesundheitliche Gründe vorbringen kann. „Aber gibt es ein ernsthaftes Interesse der Bundesrepublik daran, kranke Flüchtlinge aufzunehmen und die Folgekosten zu tragen?“ fragt Inka Zetta.

Bundesamt für Migration kriminalisiert Kirchenasyl als „Untertauchen“

Angesichts der aktuellen Diskussion um Kirchenasyl, kann man die rethorische Frage nur mit Nein beantworten. Es gibt vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Überlegungen, Kirchenasyl als „Untertauchen“ zu werten. Der Grund ist leicht durchschaubar: Sollte nachweislich das Bundesamt Asylverfahren „ohne ersichtlichen Grund unangemessen lange verzögert haben“ kann eine Abschiebung nicht mehr ohne weiteres durchgezogen werden. Wird die Frist nach Ende des Kirchenasyls neu aufgenommen, ist die Möglichkeit ausgehebelt. Sie verlängert sich um 18 Monate.

Der Antrag der Grünen im Bundestag, dass die Bundesregierung bilateral darauf hinwirkt, dass den Rohingya in ihrem Land die vollen bürgerlichen und politischen Rechte eingeräumt werden, das Menschenrechtsverletzungen in rechtsstaatlichen Gerichtsverfahren aufgearbeitet und die Opfer entschädigt werden und die flüchtenden Rohingyas als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anzuerkennen und entsprechend zu behandeln, dieser Akt der Humanität wurde von CDU/CSU und von der SPD abgelehnt.

S. sucht, wie viele andere seines Volkes, eine neue Heimat – und findet keine. Er hofft, das nun alles besser wird und er nicht wie Treibgut zwischen den EU-Ländern hin und hergeschoben wird. Ihm kann man nur wünschen, dass es der Gott auf hoher See oder ein Richter vor Gericht gut mit ihm meint und er nicht abgeschoben wird. Gut möglich, dass er bald das Letzte verliert, an dem er sich im Moment noch festhalten kann: Die Hoffnung auf ein Zuhause in Deutschland.

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