Das Boot ist voll? Kritik an dem Asyl-Brandbrief der Oberbürgermeister
Der so genannte „Brandbrief“ der OberbürgermeisterInnen von Dortmund bis Duisburg zum Thema Asyl an Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, hat in Dortmund für Unruhe gesorgt. Kritische Statements kamen von den Jusos, dem Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) und den Schülerinnenbezirksvetretern, die offene Briefe an Oberbürgermeister Ullrich Sierau schrieben. Sie seien erschüttert, erschrocken und entsetzt. heisst es in den Stellungsnahmen. Die Kritiker wünschen sich ein verantwortungsvolles Handeln im Umgang mit Flüchtlingen in Dortmund. Dazu gehört das Beibehalten des NRW-Erlasses zur sorgfältigen Einzelfallprüfungen bei Abschiebungen von Roma in den Westbalkan, den die OBs allerdings für „kontraproduktiv“ halten. Der Erlass soll jedoch dafür sorgen, dass Abschiebungen gründlich überprüft werden, wenn individuelle Gründe gegen die Zwangsrückführung in die Heimat sprechen. Für viele ist das eine Frage der Humanität.
Es ist nicht der erste Brandbrief in Sachen Asyl. Bereits 2013 unterzeichneten sieben der Oberbürgermeister aus dem Ruhrgebiet, darunter auch der Dortmunder OB, einen Brief zum Thema Asyl an Kanzlerin Merkel. Doch zeigte man damals noch Verständnis für die Situation der Flüchtlinge vom Balkan. „Sie gehören sozialen und ethnischen Gruppen an, die in ihren Herkunftsländern benachteiligt, ausgegrenzt und i. T. Opfer rassistischer Diskriminierung sind. Ihre Motivation, nach Deutschland zu kommen und längerfristig bleiben zu wollen, ist vor diesem Hintergrund verständlich.“, heisst es in dem Schreiben.
Von diesem Verständnis scheint nicht mehr viel übrig zu sein und das erweckt breiten Unmut. Neben dem Protest der Dortmunder Jusos hat die BezirksschülerInnenvertretung Dortmund an Oberbürgermeister Ulrich Sierau einen Brief geschrieben, der den Namen „Brandbrief“ wirklich verdient hat: „Mit großem Entsetzen haben wir aus der Presse erfahren, dass Sie zu den Unterzeichner*innen des Schreibens an Frau Kraft gehören.“ Und weiter heisst es: „Diese Menschen haben die Chance verdient in Deutschland ein menschenwürdiges Leben zu führen und sind eine Bereicherung für unsere Gesellschaft. Wir alle haben eine Verantwortung für Menschen, die in unser Land kommen und hier Asyl suchen. (…) Denn das Recht auf ein Leben in Sicherheit und Frieden ist ein universelles Menschenrecht. “
Die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend Dortmund fordert in einem Brief Ullrich Sierau dazu auf, seine Unterschrift zurücknehmen und fragt; „Ist Ihnen klar, dass Sie damit der Losung der Nazis „Das Boot ist voll“ Rückenwind verleihen?“ Der Verband ist erschrocken, dass Flüchtlinge nach dem Wunsch der Oberbürgermeister schneller, d.h. ohne diese konkrete Überprüfung in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden können. Sie schreiben. „Es scheint Ihnen gleichgültig, in welcher Lage sich diese Menschen befinden, dass Familien auseinander gerissen werden, Alte und Kranke den Heimweg mit unzureichender medizinischer Versorgung überstehen müssen und das Menschen, die vor Rassismus, Diskriminierung und Verfolgung geflohen sind, dorthin zurückgeschickt werden. Spielen sie den Nazis nicht in die Hände.“
Was wollen die Oberbürgermeister: Mehr Geld oder mehr Abschiebungen?
Die Zeitung Die Welt titelte zum Brandbrief: „Bürgermeister verlangen mehr Abschiebungen“. Doch die SPD-Fraktion im Dortmunder Rat sieht die Sache anders und fühlt sich falsch verstanden. Sie gibt den anderen Parteien einen guten Rat mit auf den Weg: „Wir empfehlen den Grünen, Linken und Piraten den Brief der Oberbürgermeister und Landräte aus März 2015 genau zu lesen“. Die Unterzeichner des Briefes an Ministerpräsidentin Kraft hätten „eine stärkere Unterstützung der Gemeinden bei der Unterbringung von Flüchtlingen“ gefordert. Zudem brauche die Verwaltung in Flüchtlingsfragen „keinen Nachhilfeunterricht von anderen Fraktionen.“
Man kann unterstellen, dass die anderen Parteien lesen können. Offenbar haben sie den OB-Brief sogar gründlich gelesen. Die Kritik entzündete sich nicht an der Forderung der Oberbürgermeister nach Unterstützung bei den Kosten der Versorgung der Flüchtlinge durch den Bund – für die finanziell gebeutelten Ruhrgebietsstädte ein durchaus nachvollziehbarer Wunsch. Das Entsetzen bestand angesichts der Forderung nach der Aufhebung der NRW-Erlasse, die individuelle Härtefälle vor Abschiebung schützen soll und verhindert, dass Familien über Ländergrenzen hinweg auseinander gerissen oder Pflegebedürftige abgeschoben werden.
CDU: Statt Sorgfalt schnelle Rückführung
Andere Stimmen zum Thema kamen von Steffen Kanitz, Bundestagsabgeordneter der CDU, der sich über den Erfolg des Berliner Flüchtlingsgipfels freut. Asylbewerber aus Balkanländern, deren Antrag aller Voraussicht nach abgelehnt wird , dürfen nach seiner Ansicht erst gar nicht auf die Kommunen verteilt werden. Entscheidungen über Asylanträge sollen noch schneller umgesetzt und Flüchtlinge konsequent rückgeführt werden. Um diese Forderung perfekt zu machen, unterstützt Kanitz die CDU-Forderung „auch Albanien, das Kosovo und Montenegro zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären.“
Doch ist gerade in diesen Ländern die Sicherheit relativ und für bestimmte Volksgruppen nicht gegeben, wie eine der größten Menschenrechtsorganisation,Amnesty International, feststellt: „Amnesty wendet sich gegen die zwangsweisen Rückführungen von Roma in den Kosovo. Diskriminierung von Roma ist im Kosovo so schwerwiegend, dass Roma ein Leben in Sicherheit und Würde dauerhaft im Kosovo nicht möglich ist.“
Protest kommt von Steffen Kanitz (CDU) stattdessen in Blick auf die Forderung nach einem Ausgleich der Belastung der Kommunen auf Bundesebene, wie ihn die Ruhrgebiets-Oberbürgermeister fordern. „Es reicht nicht, die Hauptlast dem Bund zuzuschieben!“ gibt Kanitz ein recht langweiliges Statement zur aktuellen Diskussion ab. Es spiegelt lediglich das übliche „zahlt doch ihr – und nicht wir“ zwischen Land und Bund wider.
Viel interessanter – wie so oft – sind diejenigen, die handeln. In Dortmund hat sich eine christliche Gemeinde entschieden, einer Familie Kirchenasyl aufgrund eines individuellen Härtefalls zu gewähren. Eine mutige Entscheidung, die nicht nur Zivilcourage erfordert, sondern echte Solidarität mit Menschen zeigt, die sich in einer Notlage befinden.