Rathaussturm: Prozessbericht zum ersten Urteil gegen Rechten Gewaltäter

Rechter Überfall auf das Dortmunder Rathaus Foto: Jürgen Steinfelder

Gestern wurde nach dem Überfall auf das Dortmunder Rathaus am Wahlabend 2014 der erste Täter vor dem Amtsgericht Dormund verurteilt. Der Neonazi hatte einen Nachwuchsjournalisten angegriffen und gewaltsam zu Boden gedrückt, ein Fußtritt traf den Studenten im Gesicht. Mehrere Zeugenaussagen bestätigten den Gewaltakt. Nach dreistündiger Verhandlung wurde das Urteil gegen den Rathausstürmer, den Rechtsextremisten Patrick B., gefällt. Der stadtbekannte Nazi musste sich nun – eineinhalb Jahre später – vor Gericht verantworten. Er wurde wegen Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung zu 80 Tagessätzen verurteilt.

Die Einstellung der Ermittlungen gegen die meisten Rathausstürmer hatte letztes Jahr für große Empörung gesorgt. B. war unter den Angreifern, die am Wahlabend versuchten, sich gewaltsam Zutritt zu der Wahlparty im Dortmunder Rathaus zu verschaffen. Die Rechtsextremisten trugen uniform-ähnliche Shirts mit dem Aufdruck „Weg mit dem NWDO-Verbot“, aus der verbotene Nazi-Kameradschaft ging die Partei „Die Rechte“ hervor. Sie waren mit Pfefferspray und Flaschen bewaffnet auf das Rathaus zugelaufen. Die Gäste der Wahlparty versuchten mit einer Menschenkette den Rechten den Zutritt zum Rathaus zu verwehren. Es kam zu tumultartigen Situationen, mehrere Menschen wurden verletzt.

Anders als bei der ehemaligen Landtagsabgeordneten Daniela Schneckenburger (Die Grünen), bei der das Verfahren gegen den gewalttätigen Angreifer zunächst eingestellt worden war, kam das Gericht im Fall des attackierten Journalistik-Studenten D. zu einem eindeutigen Urteil und der Feststellung der Schuld.

Opfer D.: Zu Boden gedrückt und ein Tritt ins Gesicht

D. war als Kameramann für ein studentisches Projekt am Wahlabend im Rathaus und wurde während seiner Berichterstattung über die Tumulte vor dem Rathauseingang von einem der Rechtsextremisten angegriffen. Der Student konnte sich noch gut an die Situation erinnern. Eindrucksvoll schilderte er dem Gericht, wie er von einem Rechtsextremisten gewaltsam zu Boden geworfen und dabei am Ellbogen verletzt wurde. Der Nazi habe ihn dann weiter auf den Boden gedrückt gehalten. „Ich habe seine Hand im Nacken gespürt“, so der Geschädigte. Während er festgehalten wurde, traf ihn ein Tritt mitten ins Gesicht. Eine Schwellung an der Stirn und den verletzten Ellbogen attestierte am nächsten Tag ein Arzt.

Die Schilderungen des Angegriffenen konnten mehrere Zeugen bestätigen, nur den Tritt mit dem Sportschuh hatte niemand ganz genau gesehen. Dafür waren die Handyaufnahmen des Dortmunder Theatermachers Horst Hanke-Lindemann ein wichtiges Beweismittel. Auf ihnen sah man deutlich, wie der Angeklagte den Kopf des Studenten auf den Boden drückt.

Die Rechten Lukas Bals und Damiana Glied auf dem Weg in den Gerichtssaal

Die wichtigste Zeugin trat zwischen den Rechten und das Opfer

Entscheidend für das Urteil war dann die Aussage der Studentin M. Sie konnte im Gerichtsaal den Mann auf der Anklagebank eindeutig als Täter identifizieren. Die junge Frau war mutig zwischen den aggressiven Nazi und den am Boden liegenden Kameramann gegangen: „Mir kam die Situation sehr bedrohlich vor. Hätte ich nicht meinen Arm schützend vor den Studenten gehalten, wäre sicher noch mehr passiert“, sagte sie nach dem Prozess den Ruhrbaronen. Angst hatte sie nicht, so die couragierte 22 Jährige, die zwei Kopf kleiner als der bullige Angeklagte ist. Sie habe im Reflex gehandelt.

Ein 21 jähriger Zeuge, der mit dem Geschädigten den Filmbericht gemacht hatte, erzählte, wie er seinen am Boden liegenden Kollegen um Hilfe schreien hörte. Später habe er sich in Panik in das Rathauscafé gerettet, als einige der aggressiven Nazis erneut auf ihn und seine Kollegen zu gerannt seien. „Wir liefen in alle Richtungen auseinander“, berichtet er den Ruhrbaronen. „Ich hoffe, dass die Rechtsmittel heute ihre Wirkung zeigen, auch wenn die Beweislage nicht in allen Punkten ausreichen sollte“.

Tatsächlich reichten die Beweise für den Tritt ins Gesicht nicht aus. Die anderen Straftaten hingegen sahen die Staatsanwaltschaft und das Gericht als ausreichend bewiesen an. Der Richter schloss sich im Wesentlichen dem Antrag des Staatsanwaltes an, der in seinem Plädoyer noch mal auf die Bedeutung der Pressefreiheit hingewiesen hatte. Der Angeklagte hätte D. eindeutig an seiner Tätigkeit der Berichterstattung hindern wollen.

Beweise reichen für eine Verurteilung wegen des Fußtritts nicht aus 

Bisher waren die Urteile gegen Rechtsextremisten in Dortmund ernüchternd, meint Zeuge Hanke-Lindemann kurz vor der Urteilsverkündung: „Ich erwarte, dass das Gericht heute objektiv und fair urteilt. Es ist fatal, wie das Dortmunder Polizeipräsidium und die Staatsanwaltschaft bisher gehandelt haben. Zeugen müssen in Zukunft bei Prozessen gegen Rechtsextremisten viel schneller befragt werden. Die Prozesse müssen zügig begonnen und Urteile rasch gefällt werden. Die Länge der Zeit macht die Erinnerung als Zeuge doch immer schwieriger, vor allem wenn wie bei manchen, die Angst vor den Nazis dazu kommt.“

Er hat Recht mit seiner Einschätzung. Fast alle Zeugen bemerkten auf gezielte Nachfragen hin, dass der Vorfall ja nunmehr über eineinhalb Jahre zurückliege und in der Erinnerung einiges nicht mehr so klar sei, wie kurz nach den Ereignissen.

Der Angeklagte B. mit Anwalt Andre Picker im Gerichtsaal

Am Ende des Prozesstages erkannte das Gericht in seinem Urteil die persönliche Schuld des Angeklagten und machte deutlich, dass auch kaum Zweifel an dem Fußtritt ins Gesicht des Angeklagten bestehen würden. Die Zeugenaussagen seien aber für eine Verurteilung nicht eindeutig genug. Ein Beweis für den Tritt hätte allerdings bei dem vorbestraften Täters zu einem Urteil in „einer anderen juristischen Preisklasse“ geführt, so der Richter. Und sagte auch gleich was er damit meint: „Es wäre zu einer Gefängnisstrafe gekommen“.

800 Euro Strafe für den Angeklagten statt Gefängnis

Das Parteimitglied von Die Rechte, Lukas B., saß mit seinen rechten Kameraden hinten im Publikum. Er wird der Urteilsverkündung aufmerksam gelauscht haben. Am 14. August wird er als Angeklagter vorne im Gerichtssaal sitzen. Er hatte die Ratsfrau Nadja Reigl (Piraten) am Wahlabend mit einem Faustschlag mitten ins Gesicht getroffen, wie Filmaufnahmen zeigen. Eine volle Sektflasche hielt er in der anderen Hand am Hals gepackt – zum Schlag erhoben. In diesem Prozess könnte es also möglicherweise zu einer ersten Gefängnisstrafe kommen.

Der gewalttätigen rechtsextremen Szene in der Nazihochburg Dortmund müssen endlich Grenzen aufgezeigt werden. Rechte Gewalt darf nicht länger stillschweigend Akzeptanz finden. Der Ausgang des gestrigen Prozesstages war ein erster Schritt in diese Richtung, denn die Schuld des Angeklagten wurde eindeutig festgestellt. Von der Höhe der Strafe mit 80 Tagessätzen waren viele enttäuscht. Die Summe ist mit 800 Euro gering, weil der Verurteilte „auf Harz IV-Niveau lebt“, so der Richter in der Urteilsbegründung. Dennoch stört, dass das Urteil nicht für einen Eintrag in das Vorstrafenregister reicht.

Die anderen 64 Rathausverteidiger, die sich nach dem rechten Überfall wegen Nötigung gegen die Rechtsextremisten auf der Anklagebank wieder fanden, werden die eindeutige Schuldzuweisung in dem Urteil mit einer gewissen Genugtuung zur Kenntnis nehmen. Und Ratsfrau Nadja Reigl blickt optimistisch auf ihren Prozess: „Ich gehe davon aus, dass dann die Schuld von Lukas Bals ebenso eindeutig festgestellt wird.“

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