Fixies – ungebremster Fahrspaß!
Wenn Teams mit den Namen Supernova Factory, Veloblitz, Why be normal?, Femme fatal und Beasty Bike an den Start gehen, riecht es nach Abenteuer. Tatsächlich geht es um hohes Tempo, waghalsige Rennen und ungebremsten Fahrspaß. Die liebevoll Fixies genannten „Fixed Gear Bikes“ haben weder Bremsen noch Gänge und auch Schnickschnack wie Klingel und Schutzblech fehlen. Die stylischen Räder ähneln den Bahnrädern, mit denen bei den legendären Sechs-Tage-Rennen gefahren wird. Durch die unbewegliche Nabe müssen die Fahrer ständig eine hohe Frequenz beim Treten der Pedalen halten. Bei den steilen Kurven bekommt man das Gefühl, die Sportler würden mit ihrer Kniescheibe fast am Asphalt entlang schleifen. Das Tempo lässt sich nur durch Gegendruck verringern, den der Fahrer auf die Pedale ausübt – für eine Vollbremsung kann man nur wahlweise den Fuß auf das Hinterrad legen oder das Hinterrad akrobatisch hochreissen. Auf der Straße verstossen die Räder gegen das Gesetz, bei den Rennen ist das Fehlen der Ausstattung Pflicht.
Die Bahnräder wurden in den 80er Jahren von den New Yorker Fahrradkurieren für den Kampf durch den Großstadtverkehr genutzt. Inzwischen ist das Fahren mit den bunten Fixies in den Metropolen von Berlin bis Bangkok ein Trendsport für Hipster und Fahrradliebhaber. Einer der ersten deutschen Amateur-Teams, die sportlich ambitioniert sind und mit Erfolg auch an den so genannten „inoffiziellen Weltmeisterschaften“ teilnehmen, kommt aus dem Ruhrgebiet. Das Team Fixedpott gründeten zwei Freunde, Jan und Stefan, die schon viele Hochs und Tiefs in ihrem Leben gemeinsam gemeistert haben. Die beiden hingen viel miteinander herum und teilten mit ihren Kumpels die Leidenschaft für Fahrräder. Als sie zufällig von einem Rennen in Rotterdam hörten, fuhren sie spontan mit fünf Leuten hin.
Stefan, der mit seinem Fixie-Bike als Fahrradkurier in Bochum unterwegs war, machte direkt den ersten Platz – das war die Initialzündung für das gesamte Team. Als er dann bei der World Championship ‚Red Hook Grit‘ die beste deutsche Qualifikationszeit erreichte, die jemals gefahren wurde, stand der Beschluss fest, sich als festes Amateur-Team zusammenzuschliessen.
Auch wenn die Gründe zum Fahrradfahren ganz verschieden waren, haben alle irgendwie zueinander gefunden, weil die Chemie stimmte. Jetzt besteht das Team aus zwei Frauen und neun Männern. Nils, Fahrer und Team-Fotograf gefällt besonders der entspannte Umgang miteinander, denn die Fixies-Fans verstehen sich eher als Community – harte Konkurrenz gibt es nur auf der Rennstrecke. “Wir sind eine Art Familie. Man ist sich nicht immer einig, aber man hilft sich immer gegenseitig, mit Technik-Tipps oder wenn einem das Fahrrad geklaut wird. Wenn sich jemand bei einem Rennen verletzt, besuchen ihn die anderen im Krankenhaus.“ Verletzungen sind häufig, das Fixedpott Team hat eine beachtliche Liste aufzuweisen. Bilanz 2015: Ein Beckenbruch, ein gebrochener Arm, ein kaputtes Schlüsselbein, ein angebrochenes Schulterblatt und drei Rippenbrüche.
Einzelkämpfertum oder Egoismus ist bei diesem Sport nicht gefragt, denn man fährt tatsächlich im Team. Das Training macht zwar jeder für sich – manche der Fixedpott-Jungs trainieren fünf Mal die Woche, andere gehen es etwas entspannter an. Vor den Rennen, bei denen zwischen 40 und 500 Fahrer starten, wird eine Strategie miteinander abgesprochen. Zum Kurvenfahren braucht man starke Nerven, mit bis zu 60 Sachen steigt man ein. Jede Haarnadel-Kurve heisst auch, keine freie Sicht auf den weiteren Verlauf der Bahn zu haben. Wer kann das besonders gut? Der fährt diesmal am besten vorne weg.
„Letztendlich gehört zur Gewinnstrategie ein bisschen Mathematik, zum Beispiel beim Bewerten der Strecke, de Rest ist Glück. Wichtig ist bei der Vorbereitung vor allem, dass wir entscheiden, wer diesmal gewinnen soll.“ Es gibt Rennen, bei denen für einen der Fahrer das Gewinnen besonders wichtig ist. Von dem Aufstieg im Ranking profitiert dann die ganze Mannschaft. „Dann ist ganz klar, dass alle für den fahren. Wir lassen ihn in unserem Windschatten, damit er für die Sprints, bei denen wir bis zu 60 kmh erreichen, Kraft sparen kann. Und manchmal bremsen wir für ihn auch das Feld aus, indem wir keinen vorbeiziehen lassen“ erklärt Paul lächelnd, der sonst mit Jugendlichen Anti-Aggressionstraining macht.
Einen Teamleader oder Mannschaftskapitän gibt es nicht, Fixedpott ist im besten Sinne basisdemokratisch. Paul stellt fest: „Jeder kann sagen, wozu er Lust hat, wir haben keinen Boss, denn wir möchten auch weiterhin friedlich miteinander befreundet sein.“ Viele der Rennen werden autonom organisiert und meistens ohne die strengen Regularien der Fahrradverbände. Amateure, Fahrradkuriere, Profis und leidenschaftliche Radfahrer treten gegeneinander an. Paul erklärt, dass dies für die Szene sogar ein Vorteil ist. „Wegen der häufigen Dopingskandale ist der Radsport in Verruf geraten. Wir hingegen dopen uns nur mit Bier und Liebe“. Auch diese Haltung macht den Charme des Fixie-Rennsports aus.
Die Fahrer haben zwar ein hohes Leistungsniveau, dennoch dürfen sich bei den so genannten „Jedermann-Rennen“ die Amateure mit den Weltklassefahrern messen. Wenn dann bei der Siegerehrung, wie zuletzt beim Waterkant Crit in Hamburg, der erstplatzierte Fixedpott-Sieger Max auf zwei Holzpaletten steigt und die zweitplatzierte Fahrerin statt eines glänzenden Silberpokals ein handgemaltes Pappschild hochhält und Max zum Gratulieren um den Hals fällt, weiss man, dass es hier um sehr viel mehr als um das reine Gewinnen geht.
Die üblichen Rad-Rennen gleichen oftmals eher einem Sponsoren-Schaulaufen, vor allem wenn mit zusammengekauften Profi-Teams gefahren wird. Das ist bei Fixedpott mit seinen gewachsenen freundschaftlichen Strukturen anders. Sie gehen das Siegen wollen nicht verkrampft an und dennoch konnte sich das Fixedpott Team durch seine zahlreichen nationalen und internationalen Siege in der Szene einen Namen machen und dadurch einige Sponsoren gewinnen. Das ist wichtig, denn ganz ohne Sponsoring geht es nicht. Die Fixie-Bikes sind teuer und die Reisekosten für elf Leute hoch.
Fixedpott haben bereits 4.900 echte Fans, die aus allen möglichen Ländern kommen und die Facebook-Seite geliked haben. „Unglaublich“, sagt Nils „dass sich jemand am anderen Ende der Welt für uns interessiert.“ Die Szene wächst stetig und wird immer internationaler. Dennoch hat man den Eindruck, dass jeder jeden kennt. Auch immer mehr Frauen entdecken den halsbrecherischen Sport für sich. Die meisten Teams fahren gemischt-geschlechtlich, bei Fixedpott sind Heike und Maria dabei. Die den Rennen, bei denen manchmal nur 50 Fahrerinnen gegenüber 450 männlichen Sportkollegen an den Start gehen, ist noch Luft nach oben. Heike macht interessierten Frauen Mut. „Am besten stürzt man sich ins Getümmel – ohne sich zu sehr unter Gewinn-Druck zu setzen. Mit dem Anspruch ‚dabei sein ist alles‘ macht das Mitfahren Spaß, auch wenn einige der Frauen krass gut fahren – und so fit sind, dass sie viele Männer locker hinter sich lassen.“
Bei der Rückkehr nach Dortmund von dem erfolgreichen Rennen in Hamburg sind sich beim Feierabend-Bier alle einig: „Es wäre schön, wenn noch mehr Menschen Fahrradfahren würden, statt mit dem Auto. Und wenn die Politik mehr in alternative Mobilitätskonzepte zu investieren würde, statt in Autobahnen.“ Dortmund gilt leider immer noch im bundesweiten Ranking als eine der fahrradunfreundlichsten Städte, klagen die Dortmunder Crew-Mitglieder. Als Paul dann über die Pläne zum Ruhrschnellweg entlang der B1 spricht, bekommen die Jungs am Küchentisch glänzende Augen.
Bildnachweis: Waterkant Krit Hamburg, 2016 Copyright Ulrike Märkel