++ next level ++ festival for games ++

Next_Level_Festival4Auf dem next level 2016 – festival for games im NRW Forum in Düsseldorf konnte man an diesem Wochenende seinem Spieltrieb freien Lauf lassen. Auf zwei Etagen wurden an 3D-Druckern kleine Dinosaurier gebaut, beim Matchmaking Profis und Amateure aufeinander losgelassen, man konnte den Spuren von Stanisław Lem folgen und Menschen vor einem gefährlichen intelligenten Ozean retten (oder auch nicht) und im freien Fall echte virtuelle 3D-Welten entdecken. Die Besucher waren nicht nicht in der Mehrheit Nerds mit tiefen Ringen unter den Augen und stay inside Haut.

Im Gegenteil, das Publikum war bunt gemischt, gut durchgegendert und altersmäßig zwischen 3 und 63 Jahren. Eines verband alle – Spaß am Spiel. Dass die heterogene Gruppe gut miteinander gut auskam und das Festival sehr kommunikativ war, lag zum einen an der freundlich-lässigen Ignoranz der Twentysomething gegenüber den Menschen, die eine 196 im Geburtsjahr haben, und zum anderen an dem Programm, das von den Organisatoren so hervorragend zusammengestellt war, dass Spaß und Spannung für alle sicher war.

Eines der Highlights war ohne Frage das Real Life-Computerspiel der komplexbrigade aus Berlin, die mit Interactive Theatre viele anlockten – die Mitspielmöglichkeiten wurden voll ausgeschöpft. Wenn sich der Reissverschluss der Raumstation CERES SPACE FOUNDATION öffnet, verschluckt einen ein weißer cleaner Raum. 90 Minuten haben wir Zeit, unsere Kollegen vom Planten Solaris zu retten, doch keiner weiß wer von der Crew zu den Bösen und wer zu den Guten gehört. Wir 10 Festivalbesucher bilden das NCC-1590 Epimetheus Team, werden desinfiziert, ziehen Uniformen und weiße Pantöffelchen an – und beginnen mit unserem Auftrag.

Erstaunlich, wie sich in Sekunden die Rollen in der Gruppe verteilen. Sarah übernimmt sofort das Kommando und verteilt die Aufgaben an uns mit einer stillen Ernsthaftigkeit, dass man bald nicht mehr weiss, ist sie die eingeweihte Spielemacherin oder empfindet sich einfach nur den Druck, unter dem wir stehen, als real. Kelvin, Anna und Snout sind existentiell bedroht, es gibt schon bald den ersten Toten. Zeit nachzudenken, gibt es nicht. Telefon! Die beiden Funker müssen die Signale aufnehmen, das Strategieteam rennt zum Forscherteam und brüllt: „Schnell, seht nach warum der Ozean Bläschen bildet – er fängt an sich selbst zu zerstören!“

Die CREW hat alles in der Hand

Der Captain unseres Raumschiffs rennt nervös hin und her, brummelt „Mein Gott, mein Gott!“ in sich hinein und ist keine große Hilfe. Wir treffen uns am Bordtisch und versuchen das Rätsel zu lösen. Schon bald verlassen wir die Erde und starten Richtung Solaris. Über den Code KT1 erfahren wir von unserem Hypertextbeauftragten, dass der physische Zustand der Besatzung immer schlechter wird, Kai rennt zum Computer und tippt hektisch “harte Röntgenstrahlung“ ein – halt nein, Stromausfall, die Verbindung nach Außen ist gekappt.

Dürfen wir der Crew Waffen in die Hand geben? Wir wissen noch nicht mal ob alle echte Menschen sind. Torsten fragt sie via Funk ab: „Was kann fliegen?“ „Ein Schiff“ antwortet Satorius. Verdammt er ist kein Mensch! Nach einhalb Stunden: Ende gut, alles gut. Nur das Rätsel wer wer ist, und ob wir die richtigen gerettet haben, bleibt offen. Ein bisschen unbefriedigend für den harten Einsatz, den wir hinter uns haben.

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Fünf Menschen bewegen sich wie Cyborgs durch einen großen Raum. Das belgische Künstlerkollektiv CREW  (ent)führt mit C.a.p.e Drop_Dog in 3D-Welten und verschränken Literatur mit einer faszinierenden 360 Grad Animation – das ganz ist 100% state of the art technology. Was unversöhnlich klingt, funktioniert hervorragend. Ausgerüstet mit einer VR-Brille, Headphone, Tracker und Wifi beginnt man seine Abenteurerreise. „Dogs and cats or fall?“ murmelt ein Crewmitglied. Nein, keine Hunde bitte. Fall klingt besser, take two. Ich folge Buchstaben, die mich umkreisen, sich zu Sätzen sammeln, bis sie sich wirbelnd über meinem Kopf drehen und nach oben verschwinden. Dann betrete ich eine virtuelle Welt, die realer ist, als die Wirklichkeit. Und erstaunlich viel Tiefe hat. Sehen, Lesen und Hören kommt mir viel intensiver vor, nur das Körpergefühl, den sicheren Stand auf dem Boden, verliere ich langsam. Ein bisschen Übelkeit macht sich breit.

Als ich aus dem Fenster des 30 Stock blicke und hinuntersehe, bin ich froh, dass die freundliche Schweizerin an meiner Seite ist und nach meinen Händen greift. Hier oben braucht man Halt. Die Vögel zwitschern, Schäfchenwolken ziehen vorbei, alles ist gut. Ich blicke über die Stadt, in den blauen Himmel – beste Aussichten. Drehe mich um zur Balkontür, gehe zur Brüstung und gucke auf die belebte Straße hinunter. Dan falle ich, haltlos und schnell, wie in den Alpträumen, aus denen man schweißnass aufwacht.

High-value target 

Uwe Lothar Müller berichtet über das ARTE Newsgames Refugees , das mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnet wurde. Die Spieler werden als Reporter in drei Flüchtlingscamps im Irak, Libanon und Nepal geschickt, um eine Reportage zu erstellen: “the real thing – die rauhe Wirklichkeit!“, nennt Müller das. Man spricht mit ortskundigen Journalistinnen, kauft auf dem lebhaften Markt ein und verhandelt mit starrköpfigen Behördenvertretern. Begleitet wird man von einer Redakteurin, die via Chat mit einem im Kontakt bleibt. Das Konzept des Newsgames ist (ein bisschen sehr pädagogisch gedacht), die Situation der Flüchtlinge aus verschiedenen Blickwinkeln zu erfassen und dadurch auch die eigene Perspektive zu erweitern.

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Doch ganz anders als bei dem Spiel der CREW und der Komplexbrigaden, die ihre Spieler vom bequemen Sofa runterholen und in eine neue Welt eintauchen lassen, wirft ARTE einen dahin, wo das Elend recht bequem anzusehen ist: In den gemütlichen Fernsehsessel. Die Frage, ob es zynisch ist, mit der Not der Flüchtlinge spielerisch umzugehen, thematisiert Müller offen in seiner Rede. Die erhöhten Klickrates werden die ARTE Redaktion aber sicher über ihr Unbehagen hinweggetröstet haben. Das Festival mit einem Mix aus Vorträgen, Diskussionen, Workshops, Gaming und Info umfasst so viele Aspekte und Möglichkeiten, sich interaktiv zu beteiligen, dass zwei Besuchstage gut angesetzt sind. Das neben dem Digitalen auch viel Analoges zu finden war, hat an manchen Stellen etwas verwundert. Die große Liebe zum Detail und die vielen kleinen Anspielungen und Referenzen in der Ausstellung haben neben dem Spielen großen Spaß gemacht: ein kleiner Zauberwürfel in der Ecke, die originalen Stofffähnchen an der asiatischen Street Food Bude, die wundervolle Sammlung der Konsolenkinder, bei denen man seinem Atari ebenso wieder begegnet wie dem Spiel „Pong“.

Perform, interact, talk, learn, create, jam & connect: Man muss kein Geek sein, um sich schon jetzt auf das next level 2017 festival zu freuen 🙂 !

Bildnachweis: Copyright Ulrike Märkel

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